"Organ der Wahl": Gentherapie gegen Kurzsichtigkeit?

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Identifiziert: zwei DNA-Abschnitte, die die Linse beeinflussen. Kurzsichtigkeit liegt oft, wie man sagt, „in der Familie“: Die Erblichkeit wird auf 60 bis 90 Prozent geschätzt. Etliche Gene beteiligt.

Wenn der Augapfel zu lang ist oder die Brechkraft der Linse zu groß, dann entsteht Kurzsichtigkeit: Der Brennpunkt liegt schon vor der Netzhaut, damit wird das Bild unscharf. Das ist die häufigste Beeinträchtigung des Sehsinns; auch wenn sie meist nicht als Krankheit gilt, können schwere Formen doch bis zur Blindheit führen. Bevor die Brille erfunden wurde, galten stark Kurzsichtige überhaupt als blind – das mag erklären, warum in alten Sagen und Märchen so viel von Blinden die Rede ist.

Auffällig ist, wie ungleichmäßig die Kurzsichtigkeit auf der Erde verteilt ist. In den USA gilt ein Drittel der Einwohner als kurzsichtig (mit mehr als einer Dioptrie); in der chinesischen Bevölkerung in Singapur und Taiwan sind über 80 Prozent betroffen!

Kurzsichtigkeit liegt oft, wie man sagt, „in der Familie“: Die Erblichkeit wird auf 60 bis 90 Prozent geschätzt. Man weiß, dass daran etliche Gene beteiligt sein müssen – doch bisher kannte man keines davon wirklich. Nun haben zwei Arbeitsgruppen je eine Stelle (einen „Locus“) im Genom gefunden, die offenbar mit Kurzsichtigkeit zu tun hat.

Beide sind auf dem Chromosom Nummer 15, und beide liegen nicht in einem Gen, sondern in einem DNA-Abschnitt, der wahrscheinlich an der Steuerung eines Gens beteiligt ist. Genetiker um Caroline Klaver (Rotterdam) fanden einen Locus (15q14) in der Nähe zweier Gene, die in der Netzhaut aktiv sind: GJD2 und ACTC1. „Wir vermuten, dass Varianten oder Mutationen in regulatorischen Elementen in 15q14 zu unrichtiger Transkription von Genen in dieser Gegend führen kann“, schreiben sie in „Nature Genetics“ (12.9.). Ebendort berichten Opthalmologen um Terri Young (Duke University) über einen Locus, der offenbar das Gen RASGRF1 beeinflusst. Dieses ist in der Netzhaut aktiv, es wird auch von Vitamin A reguliert. Der Zusammenhang scheint so klar, dass Young bereits laut über Gentherapie nachdenkt: Das Auge sei „ein Organ der Wahl“ dafür, weil es so gut zugänglich und zugleich so klar begrenzt sei.

Nicht fernsehen, in die Ferne sehen!

Einstweilen erinnert Young daran, dass Kurzsichtigkeit auch durch kulturelle Faktoren beeinflusst wird: „Die heutige Arbeitswelt zwingt unsere Augen dauernd dazu, auf nahe Objekte zu fokussieren: Zeitung zu lesen, auf Monitore zu schauen. Wir haben weniger Gelegenheit dazu, in die Ferne zu sehen.“ Und genau das sollte man tun, wenn man der Kurzsichtigkeit entgegenwirken will: „Die Menschen sollten hinausgehen und auf den Horizont blicken.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2010)

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