Genetik: Im Lichte der Evolution betrachtet

Genetik Lichte Evolution betrachtet
Genetik Lichte Evolution betrachtet(c) EPA (Landschaftsverband Lwl/Ho)
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Im Großraum Wien entstand in den letzten Jahren der Forschungsschwerpunkt Evolution mit doppelt so vielen Gruppen wie im "Hotspot" München. Das IST Austria stand diese Woche ganz im Zeichen der Evolutionsgenetik.

Nichts in der Biologie ergibt Sinn, außer im Lichte der Evolution.“ Der Ausspruch ist fast 80 Jahre alt, und bis heute stimmen nicht nur Biologen dem Satz des Genetikers Theodosius Dobzhansky zu. Auch diese Woche drehte sich in und um Wien vieles um die Evolution und ihre Mechanismen. Während an der Uni Wien im Department für Evolutionsbiologie die Diplomanden und Dissertanten am Freitag ihre Arbeiten präsentierten, fand in Klosterneuburg am IST Austria von Montag bis Freitag ein Workshop über „Evolutionary Genetics“ für junge Wissenschaftler statt. Aushängeschild dieser Forschungsrichtung ist Nick Barton, der im Februar 2009 als erster Professor in das Forschungsinstitut auf den Gründen der früheren Landesnervenheilanstalt Gugging einzog.

Er erläuterte, dass der Weg weit war, bis Darwins Erkenntnisse zur Evolution und Mendels zur Genetik nicht mehr als Widerspruch ausgelegt wurden. Dabei veröffentlichte Darwin 1859 in „On the Origin of Species“ sein Wissen über Evolution und natürliche Selektion fast zur selben Zeit, als Mendel im Klostergarten von Altbrünn Kreuzungsexperimente mit verschiedenen Erbsensorten durchführte.

„Damals war zwar die Evolution bald akzeptierte Sache, doch bis man die natürliche Selektion akzeptierte, dauerte es noch 100 Jahre“, so Barton. Biologen hatten scheinbar wenig Interesse, experimentell zu testen, wovon der Fortpflanzungserfolg von einzelnen Tieren abhängt. Erst um 1900 wurdediskutiert, wie genetische Vielfalt bei der natürlichen Selektion mitspielt. „Man entdeckte Mendels Arbeit neu: Da steckten ja Daten von 15 Jahren und über 30.000 Pflanzen drin.“

Bis man erkannte, dass für alle Lebewesen, die sich sexuell fortpflanzen, die gleichen Prinzipien der Vererbung und der Evolution gelten, „benötigte es noch eine Menge an Dissertanten und eine Menge an Fliegen“. Auch an Maiskörnern und Ratten zeigte sich, wie Selektion wirklich abläuft: nämlich in kleinen Schritten, die zu Genkombinationen führen, die für die jeweilige Tier- oder Pflanzenart in ihrer Umgebung am besten passen.

Erst nach der Entschlüsselung der DNA-Strukturen (1950er) konnte man die physikalische Basis des Lebens verstehen. „Das war der Ursprung der Molekularbiologie. Und obwohl die molekularen Methoden enormen Fortschritt erfahren, haben wir seit den 1960ern wenige fundamentale Entdeckungen gemacht“, resümiert Barton. Zwar könne man jetzt gezielte Experimente und Modelle entwerfen, die uns Aufschluss über Selektionsdruck und sexuelle Fortpflanzung geben. „Aber die Fragen sind die gleichen: Wie ist das Leben entstanden? Wie ist der genetische Code entstanden? Wie Vielzeller, wie Insektenstaaten?“

Das ist das Stichwort für eine der Neuzugänge am IST Austria: Sylvia Cremer zog von Regensburg nach Österreich, ihre Studenten und ihre Ameisen folgen Anfang November ins neue Forschungsgebäude auf dem Campus. Ja, die Verhaltensökologin bringt Tupperware-Boxen mit, in denen Ameisenkolonien wohnen. Denn wer an der Evolution von Kooperation forscht, ist mit den gefinkelten Sozialstrukturen eines Ameisenstaats gut bedient.

„Wir untersuchen z.B., warum eingewanderte Ameisenarten so extrem erfolgreich sind und einheimische Arten verdrängen“, erzählt Cremer. Solche invasiven Ameisen bilden durch Kooperationen auf noch höherem Niveau Superkolonien: Benachbarte Ameisennester bekriegen sich nicht – im Gegensatz zu den jeweils einheimischen. Der Körpergeruch könnte eine Rolle spielen: Schließlich ist es eine kleine Gruppe von Ameisen, die in neue Gebiete wandert. Sie breiten sich schnell aus, bilden neue Nester: Ihre Bewohner riechen ähnlich, da die Nestgründer verwandt waren. Somit erkennen herumspazierende Ameisen ihre Nachbarn nicht als fremd und kooperieren mit ihnen. „Außerdem nehmen eingewanderte Arten keine Krankheitserreger mit, und die Erreger im neuen Gebiet sind noch nicht an sie angepasst“, so Cremer. Auch das führt wohl dazu, dass sich eingewanderte Ameisen – egal, wo auf der Welt – so immens ausbreiten. Die Evolution von Krankheitserregern und ihrem Wirt ist eines der Steckenpferde von Cremers Forschungsgruppe: So wie jeder Körper ein Immunsystem hat, bauen Ameisen ein „soziales Immunsystem“ auf. „Allein am Geruch erkennen die Tiere, welches Individuum erkrankt ist. Dann beginnen sie ,Grooming‘, wobei sie mit ihren Mundwerkzeugen die Pilzsporen oder andere Erreger von der Oberfläche des infizierten Tieres entfernen.“ In ihren Mundtaschen wird der Erreger getötet und außerhalb des Nestes ausgespuckt. „Wir verwenden nun fluoreszierende Pilzsporen, um die Ausbreitung einer Krankheit in einer Ameisenkolonie zu verfolgen.“

Wie breitet sich der Erreger in 24 oder 48 Stunden aus, wenn sich die Tiere in verschiedener Frequenz und für welche Zeitspanne treffen? Im Labor kann man diese Parameter verändern und das Ergebnis der Ausbreitung beobachten. „Diese Ergebnisse können Epidemiologen helfen, die Verbreitung von Krankheiten in unserer Gesellschaft besser zu verstehen.“

Die Neugierde, das „Immer-mehr-verstehen-Wollen“, ist eine der Erklärungen, warum sich in jüngster Zeit so viele Evolutionsforscher in und um Wien angesiedelt haben. Joachim Hermisson, der an der Uni Wien eine WWTF-Stiftungsprofessur für Mathematik und Biowissenschaften innehat, ist Teil der Plattform „EvolVienna“. Er rechnet vor, dass in den letzten fünf Jahren mehr Forschungsgruppen für Evolution im Großraum Wien entstanden sind, als es das Zentrum der deutschen Evolutionsforschung, München, insgesamt hat: „Dort gibt es knapp 25 Gruppenleiter, bei uns bereits 53.“

Dieser Schwerpunkt ist ohne „Rekrutierungsplan“ passiert: Zum Teil liegt es an Traditionen – in Nachfolge etwa von Konrad Lorenz, Rupert Riedl, Peter Schuster oder Karl Sigmund. Dazu kommt die enorme Breite an Forschungsfeldern, von RNA-Evolution über vergleichendes Verhalten bis zur Populationsgenetik. „Die Gruppen können sich austauschen. Aber es war auch Glück dabei, dass viele Förderstellen und Institute hochkarätige Evolutionsforscher nach Wien, Klosterneuburg und Laxenburg geholt haben, sodass hier eine exzellente akademische Landschaft entstehen konnte.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2010)

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