Geschlechterklischees schaden auch Buben

(c) Michaela Bruckberger
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"Wissenschaft und Gender": Helfen Quotenregelungen? Oder doch "Gender Mainstreaming"? Und was ist das überhaupt? Der österreichische Wissenschaftstag befasste sich mit den Chancen von Frauen in der Wissenschaft.

Will science become feminine? Das Thema der Diskussion klang recht eindeutig. Doch schon die Übersetzung ist problematisch: Denn „science“ sind nur die Naturwissenschaften. Ist es vorstellbar, dass diese in ihren Methoden oder gar Inhalten „weiblicher“ werden, wenn mehr Frauen in ihnen forschen? Dass eine „weibliche“ Physik anders aussieht als eine „männliche“? Diese Fragen mögen heute absurd klingen, noch vor 20 Jahren wurden sie von etlichen Feministinnen gestellt. Man denke nur an die These der Philosophin Luce Irigaray, dass die „männliche“ Physik die Festkörperphysik der Hydrodynamik vorziehe, weil das Feste mit Männern und das Flüssige mit Frauen identifiziert werde.

Die feministische Physikerin Evelyn Fox Keller war weit entfernt von dergleichen. Aber sie liebäugelte – etwa in ihren Studien über die Biologin Barbara McClintock – doch mit der Idee, dass das Geschlecht der Forscher den Charakter ihrer Forschung präge, dass „androzentrische“ Wissenschaft dazu neige, in der Natur überall Macht und Herrschaft zu sehen und im reduktionistischen Furor die „Komplexität“ zu unterschätzen.

Unterschiede in den Begabungen?

Diese Idee ist so gut wie verschwunden. Auf dem Wissenschaftstag, wo heuer viel mehr Frauen waren als sonst, vertrat sie niemand. „Es ist unrealistisch, dass Frauen die Wissenschaft ändern“, sagte auch Fox Keller: „Die Biologie hat sich nicht deshalb geändert, weil mehr Frauen dabei sind, sondern weil die reduktionistische Betrachtung nicht mehr erfolgreich war.“ Sie sieht auch die Strategie, „weibliche Qualitäten“ zu betonen, eher skeptisch. Hans Sünkel, Präsident der Universitätenkonferenz, meinte dagegen immerhin, dass Frauen mehr für interdisziplinäre Richtungen geeignet seien, weil sie kommunikativer seien.

Es könnte sein, dass so wenige Frauen in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern sind, weil Buben häufiger besonders für Mathematik begabt seien: Mit dieser These hat sich der Ökonom Lawrence Summers 1995 unbeliebt gemacht. Psychologe Markus Hausmann ergründete am Semmering, ob dennoch daran etwas Wahres sei.

Tatsächlich findet man Geschlechtsunterschiede in allen vier Hirnlappen, Männer zeigen z.B. mehr Rechts-links-Asymmetrie. Diese ist bei Frauen zyklusabhängig, wie überhaupt die hormonellen Einflüsse auf die funktionelle Organisation des Hirns beträchtlich sind. Dennoch zeigen sich in Tests auf spezifische intellektuelle Leistungen wenig Unterschiede. Nur in der mentalen Rotation (Drehung von Objekten im Kopf) sind Männer signifikant besser als Frauen (und Studenten der Naturwissenschaft besser als Kunststudenten). Interessant sind Wechselwirkungen mit sozialen Einflüssen. So stimulieren Geschlechts-Stereotype bei Männern den Testosteronspiegel (und damit vielleicht die Fähigkeit zur mentalen Rotation), und auch Selbstsicherheit – die bei weiblichen Testpersonen geringer ist – beeinflusst die Ergebnisse. „Es ist unwahrscheinlich, dass Frauen in der Naturwissenschaft aufgrund angeborener Unterschiede unterrepräsentiert sind“, fasste Hausmann zusammen.

Nicht nur in der Naturwissenschaft, sondern in allen Fächern sind Frauen in den höheren Rängen schlechter vertreten als unter Studienanfängern: Die „gläserne Decke“ hält. Kann, soll man sie mit den Mitteln des Rechts durchbrechen? In Österreich ist die „tatsächliche Gleichstellung“ von Mann und Frau eine Staatszielbestimmung, erklärte Juristin Gabriele Kucsko-Stadlmayer. Doch darf eine Quotenregelung etwa Männer, die sich um einen Uni-Posten bewerben, diskriminieren? Der Europäische Gerichtshof hat 1995 im „Fall Kalanke“ dagegen entschieden. So spricht man heute weniger über Quoten als über „Gender Mainstreaming“. Doch dieser Begriff ist ziemlich verwaschen, wie Psychologin Christiane Spiel anmerkte.

Fleißige Mädchen, begabte Buben?

Spiel selbst ging von den Aufnahmeprüfungen der Medizin-Unis aus: 57,3Prozent der Antretenden sind weiblich, aber nur 44Prozent der Personen, die den Test bestehen. Wieso? Die Gründe liegen wohl schon in früheren Phasen der Bildung. Studien zeigen, wie unterschiedlich Mädchen und Buben von Lehrern und Eltern behandelt werden. So wird bei Knaben die Risikobereitschaft mehr gefördert (was sich auch in mehr Unfällen auswirkt); Mädchen werden eher Fleiß und Sorgfalt attestiert als Buben. Diese werden als „underachiever“ behandelt (die bessere Noten haben könnten, wenn sie nur fleißiger wären). Diese Stereotype haben sich seit 1970 nicht geändert, sie finden sich auch in neuen Schulbüchern: Männer werden als kompetitiver und risikofreudiger, Frauen als kooperativer gezeigt. Solche Geschlechter-klischees, so Spiel, bringen nicht nur den Mädchen einen Nachteil, sondern auch den Buben: Dass sie Lernen für uncool halten, ist wohl auch schuld daran, dass sie seltener maturieren als ihre Jahrgangskolleginnen.

Kann Geschlechtertrennung in der Schule helfen? Dafür gebe es keine ausreichende Evidenz, meint Spiel. Auch der Mangel an männlichen Lehrkräften sei nicht entscheidend. Schon gar nicht könne eine Verkleinerung der Klassen dieses und andere Probleme unserer Schulen kurieren. Spiel ist für „reflexive Koedukation“, also für Bewusstmachung: „Dass Stereotype unbewusst wirken, macht sie besonders gefährlich.“

So gut wie alle traten für bessere Kinderbetreuung ein, damit Frauen nicht durch zu lange Karenz „aus der Wissenschaft geworfen werden“, so die Schweizer Medizinerin Heidi Diggelmann. Sie plädierte auch für tröstlichen Humor: Wenn männlichen Bewerbern „Führungsqualitäten“, weiblichen dagegen „Haare auf den Zähnen“ bescheinigt werden, könne man darüber nur lachen.

Wissenschaftstag (mit Athene)

Seit 1989 veranstaltet die 1977 gegründete, großteils aus Universitätsprofessoren bestehende Österreichische Forschungsgemeinschaft (www.oefg.at) jedes Jahr rund um den Nationalfeiertag den Wissenschaftstag im Hotel Panhans am Semmering. Heuer war das Thema „Wissenschaft und Gender“. Es sprach u.a. die britische Physikerin Athene Donald, die das „Athena Forum“ zur Förderung der Karriere von Frauen in der Wissenschaft gegründet hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2010)

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