Frühstück: "Auch das Militär wird immer infantiler"

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Kulturwissenschaftlerin und Professorin für Japanologie an der University of California, Frühstück, derzeit in Wien, erklärt im Gespräch mit der "Presse", wie Kriegsspiele die Kindheit - und den Krieg - prägen.

Die Presse: Wie hat Sie als Japanologin das Thema Kriegsspiele und Kindheit zu interessieren begonnen?

Sabine Frühstück: Japan ist ein guter Angelpunkt, weil viele der militaristischen Computerspiele dort produziert werden. Meine Geschichte beginnt auch dort: im Russisch-Japanischen Krieg um 1904. Damals machten Kinder in der Grundschule paramilitärische Übungen.

Die „War Games“ werden immer realistischer. Sind sie Einübungen in den Militarismus?

Das will ich nicht behaupten. Aber Kinder lernen dabei, dass Leute zu erschießen eine Möglichkeit ist, mit Konflikten umzugehen. Und viele kognitive Abläufe ähneln jenen im echten Krieg.

Obwohl die Leute, die solche Videospiele spielen, nicht unbedingt gewalttätiger sind.

Die wahren Militaristen sind eher in Schießvereinen oder laufen durch den Wald. Die Kids vorm Computer wollen ja nicht dieses fade Militärleben haben. Die wollen nur die Aufregung, die mit der Vorstellung davon einhergeht. Es ist eine Art von Unterhaltung – aber eine, die behauptet, dass Militarismus ein normaler Bestandteil unserer Gesellschaft ist. Man spricht von „Militainment“.

Lässt sich ein Zusammenschluss von Kriegstechnik und Unterhaltungsbranche nachweisen?

Ja. Es gibt Forschungsinstitute, die Computerspiele für den Unterhaltungsmarkt entwerfen, welche auch zur Ausbildung von Militärs verwendet werden. Wie an der University of Southern California. Teils wird das von der US-Army, teils von Sony finanziert. Was kein Zufall ist... Man muss diese Verbrüderung des Militärapparates mit der Unterhaltungsindustrie ernst nehmen. Ich sehe das als eine neue Art dafür zu sorgen, dass die Leute Krieg für eine gangbare Möglichkeit der Konfliktlösung halten. Kriegsspiele helfen auch Staaten dabei, vor ihrer Bevölkerung zu legitimieren, dass Unmengen von Geld in Militärtechnologie gesteckt werden.

Ist jemand, der diese Spiele von Kind an spielt, auch in einem echten Krieg der bessere Kämpfer?

Nach allem was ich gelesen habe: Nein. Interessant ist aber, dass neben der Militarisierung der Kindheit das Militär immer infantiler wird. So hat das US-Militär in Japan einen Manga-Comic zur Geschichte des Sicherheitsvertrages mit Japan herausgebracht. Auch das japanische Militär verwendet ja herzige Figuren als Maskottchen. Die Amerikaner haben sich erst darüber lustig gemacht, jetzt tun sie das Gleiche. Und verwenden die Form einer Kindergeschichte.

Was ist der Hintergrund für diese Entwicklung?

Viele moderne demokratische Staaten haben das Problem, dass sich kein Mensch für das Militär interessiert. Wenige wollen zum Militär, es sei denn, es tut etwas, was nicht mit Kriegführen gleichgesetzt ist: wie mit einem Flugzeug zu fliegen, das schneller als das Licht ist – wie es in einer Story heißt.

Was hat sich im Hinblick auf Kriegsspiele in den letzten Jahrzehnten verändert?

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich viel geändert. Auch in Österreich: Statt der Kriegs- und Soldatenspiele spielte man in den Sechzigern Räuber und Gendarm oder Indianer. Der nächste Wandel kam mit den elektronischen Videospielen. Das Fernsehen ist weniger wichtig, weil es ein passives Medium ist.

Wogegen die Spiele im Cyberspace interaktiv sind. In „World Of Warcraft“ etwa vernetzen sich Leute verschiedenster Herkunft über den ganzen Globus.

Und damit löst sich das Kriegspielen vom Nationalstaat los! Man hat ja selten einen militärisch genau identifizierten Partner, einen national definierten Feind. Außerdem gibt es keine körperliche Disziplinierung des Spielers – wie früher, als man in der Wiese oder im Wald spielte. Videospielen kann man auch, wenn man fett und ungesund isst.

Weltweit schickt man Kinder in den Krieg. Wieso?

Schon im Europa des 18.Jahrhunderts gab es die Vorstellung, dass Kinder besonders gute Soldaten sind. Weil sie die Angst vor dem Tod nicht kennen oder quasi natürlich zur Loyalität neigen. Das ist auch die alte Vorstellung vom Kind als vorzivilisiertes Wesen: als Wilder. Heute ist die Diskussion von einer Angst vorm Kind getrieben. Auch in Bezug auf die Computerspiele. Wir denken uns: Oh mein Gott, vielleicht greift das Kind zur Waffe und erschießt jemanden!

Wie unterscheiden sich archaischere Formen – auch Paintball – von Computerspielen?

Bei älteren Kriegsspielen ging es auch um den Vater oder Bruder, der im Krieg war und dem man nacheiferte. Computerspiele haben diese Funktion nicht mehr. Man wird nicht zum Vater, den man anhimmelt. Man ist schon der Held, sobald man das Spiel beginnt.

Zur Person

Sabine Frühstück (44) ist Kulturwissenschaftlerin und Professorin für Japanologie an der University of California, Santa Barbara. Derzeit ist sie Senior Fellow am IFK in Wien. [privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2010)

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