Kinderwunsch – und dann die Realität

Kinderwunsch ndash dann Realitaet
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Die Österreicher wollen mehr Kinder, als sie dann tatsächlich haben. Die Überlegungen der Frauen und Männer bezüglich ihres Nachwuchses sind dabei höchst unterschiedlich, wie ein EU-Forschungsprojekt zeigt.

Mittelstand, arm oder reich, mit oder ohne religiöses Bekenntnis, mit niedrigem oder hohem Bildungsgrad und natürlich, ob der Mann oder die Frau in der Partnerschaft oder Ehe dominiert: Das sind die Komponenten, die bestimmend sind für die Anzahl der Kinder und damit für Einrichtungen wie Kindergarten und Schule, für Berufe wie Lehrer und Jugendbetreuer und letztlich für das Auf und Ab der Bevölkerungszahl eines Staates. Der signifikante Rückgang der Geburtenzahlen in Europa ist zu einem der beherrschenden Themen der Demografie geworden. „Sozialpsychologische Untersuchungen des geplanten Verhaltens von Männern und Frauen helfen uns, Kinderwünsche zu verstehen und Maßnahmen, die zu ihrer Verwirklichung beitragen, zu identifizieren“, sagt Dimiter Philipov vom Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

In Wien wird das EU-weite Projekt „Repro“ (Reproduktive Entscheidungsfindung) koordiniert und für die Periode 2008 bis 2011 über das siebte EU-Forschungsrahmenprogramm finanziert. Hauptaufgabe der Forschungsprojekte ist die Offenlegung der Hintergründe des Geburtenrückgangs. Alarmiert wurden die EU-Strategen durch die Fertilitätszahlen. Nach den statistischen Erhebungen liegen sie im EU-Durchschnitt für 2008 bei 1,60 Kindern pro Frau (2006 noch 1,72), wobei Irland mit 2,1 an der Spitze liegt, gefolgt von Frankreich mit 1,99. Großbritannien mit 1,96 und Schweden mit 1,91 verzeichnen noch respektable Werte, dann aber sacken die Zahlen ab. Deutschland wird mit 1,38 ausgewiesen, Österreich mit 1,41. Verglichen zum Nachkriegsmaximum in Österreich im Jahr 1963 mit 2,82 bekommen die Frauen hierzulande nur noch halb so viele Kinder. Derzeit ist in vielen europäischen Ländern ein moderater Aufschwung zu beobachten, von dem jedoch u.a. Deutschland und Österreich ausgenommen sind. Den höchsten europäischen Wert verzeichnet das Nicht-EU-Land Island mit 2,15.

„Repro“ vergleicht mehrere europäische Länder und geht von einer Makro- und einer Mikroperspektive aus, sagt Projektleiter Philipov. Erstere betrifft die vor allem vom Staat vorgegebenen Bedingungen wie die Familien- und Kinderhilfe oder die Bereitstellung von Kinderbetreuungsplätzen. Wichtig ist des Weiteren die wirtschaftliche Situation. Analysen für OECD-Länder zeigen, dass mit steigendem Bruttoinlandsprodukt die Fertilitätsraten fallen, jedoch ab 10.000 Euro pro Kopf wieder steigen.

Die Mikroebene trifft Aussagen über die Einstellungen der Männer und Frauen, wobei die Erhebungen die Altersgruppe von 18 bis 45 Jahren umfassen. In Österreich wurden 2009 die ersten grundlegenden Daten von der Statistik Austria erhoben („Familienentwicklung in Österreich“, siehe Artikel auf Seite 23). Befragt wurden flächendeckend rund 3000 Frauen und 2000 Männer, womit sich das Gesamtbild nach mehreren Faktoren aufgliedern lässt und vor allem soziale Unterschiede sowie der Konflikt zwischen Beruf und Familie sichtbar werden.

Bei vielen Detailfragen zeigt sich der unterschiedliche Kinderwunsch von Frauen und Männern. In der Gruppe der Unter-30-Jährigen wollen Frauen im Durchschnitt zwei Kinder, während der Kinderwunsch von Männern etwas niedriger liegt. Auch innerhalb von Partnerschaften gibt es Diskrepanzen: In einem von drei Paaren, in denen Frauen im Alter bis 40 Jahre ein erstes Kind wollen, stimmen ihre Partner nicht damit überein. Frauen berücksichtigen bei der Nachwuchsplanung in einem größeren Ausmaß ihre eigene finanzielle Situation, ihre eigene Arbeit, die Wohnsituation und den Beruf des Partners.

Das Religionsbekenntnis bestimmt ebenfalls den Kinderwunsch. Bei der Frage nach der „idealen Kinderzahl“ geben im Schnitt Personen mit muslimischem Bekenntnis 2,6 an, Orthodoxe 2,5, praktizierende Katholiken 2,4, Katholiken ohne Kirchgang sowie Evangelische 2,1 und Personen ohne Bekenntnis 1,9. Die Realität schaut dann anders aus, so kommen Katholiken mit häufigem Kirchgang im Schnitt auf 1,8 Kinder.

Wie beim EU-Projekt ist auch das zentrale Anliegen der Österreich-Studie, Einflussfaktoren für bzw. gegen ein Kind darzulegen und Gründe für eine mögliche Diskrepanz zwischen der gewünschten Familiengröße und deren Umsetzung aufzuzeigen. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass in Staaten mit höheren Leistungen für Familien der Kinderwunsch stärker ausgeprägt ist. Philipov teilt hier Europa in vier unterschiedliche Zonen nach Wohlfahrtsregimen („welfare regimes“): Erstens die Länder mit einem ausgeprägten Sozialsystem („sozialdemokratisches Wohlfahrtsregime“); das trifft auf die nordischen Staaten zu. Zweitens der Sonderfall Großbritannien als „liberales Wohlfahrtsregime“, in dem Marktmechanismen zentral sind und der Staat nur geringfügig interveniert. Drittens die mitteleuropäischen Länder wie Deutschland und Österreich („konservatives Wohlfahrtsregime“) und viertens die südeuropäischen Länder mit einer ausgeprägten familiären Struktur.

Der Unterschied zeige sich beispielsweise in der Stellung der Frauen in den nordischen Ländern, die Kind und Beruf gut vereinbaren können, und der Frauen in Österreich, die sich zu oft für ein Kind oder die berufliche Karriere entscheiden müssen. Dabei sind traditionelle Geschlechterrollen noch wirksam, nach denen der Mann für den hauptsächlichen Teil des Haushaltseinkommens zuständig ist, die Frau für die Betreuung der Kinder und meist für einen gewissen Zuverdienst. Eine Änderung dieser sozialen Normen ist aber nicht von heute auf morgen möglich, das sei eine Entwicklung von vielen Jahren, vielleicht sogar von einigen Jahrzehnten.

Die Regierungen können mit Maßnahmen helfen. „Herkömmliche Mittel wie Kindergeld und Elternurlaub unterstützen die Eltern, indem sie ihnen Zeit und Geld für die Kinderbetreuung zur Verfügung stellen“, sagt Philipov. Aus den Erhebungen geht aber hervor, dass soziale Normen und persönliche Einstellungen für die Fortpflanzung eine wichtigere Rolle spielen. Und wenn Leute keine Kinder haben wollen, dann können auch Gesetze und Unterstützungen nichts ausrichten.

In Österreich will ein Zehntel der Bevölkerung überhaupt kinderlos bleiben, ein weiteres Zehntel kommt übrigens unfreiwillig in diesen Status. 60 Prozent der jüngeren Frauen (18 bis 24 Jahre) wollen zwei Kinder, 23 Prozent drei oder mehr. Bei Männern liegen diese Werte bei 61 und 17 Prozent. In den Niederlanden realisierten 75 Prozent derer, die einen Kinderwunsch hatten, der sich innerhalb von drei Jahren erfüllen sollte, diesen, während die entsprechenden Anteile in der Schweiz bei 55 Prozent und in Ungarn bei 40 Prozent liegen. Wie hoch ist der Anteil in Österreich? Hierzulande wird nach der Studie von 2009 eine für 2012 geplante Erhebung mit denselben Befragten die Antwort geben. Dann wird man sehen, ob der für „jetzt“ oder „innerhalb von drei Jahren“ formulierte Kinderwunsch auch tatsächlich erfüllt wurde – wie weit also das Wollen von der Realität abweicht. Finanziell gesichert ist diese Erhebung freilich noch nicht. Estland hat die Folgestudie wegen Finanzmangels absagen müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2011)

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