Heinrich Harrer: "Zwischen Hitler und Himalaya"

Er enthüllte die SS-Mitgliedschaft des Bergsteigers, nun beschreibt Gerald Lehner die "Causa Harrer" in einem Buch: "Zwischen Hitler und Himalaya".

Anfang dieses Jahres starb der große österreichische Bergsteiger und Forschungsreisende Heinrich Harrer, die Bewunderung ganzer Generationen für den Autor von "Sieben Jahre in Tibet", den Dalai-Lama-Erzieher und Bezwinger der Eiger Nordwand überdeckte in den meisten Nachrufen (auch in dieser Zeitung), was Jahre davor weltweit für Aufregung gesorgt hatte. Auslöser damals war der Salzburger Journalist Gerald Lehner, er hat nun Geschichte, Ergebnisse und neue Details seiner Recherchen in ein Buch gefasst: "Zwischen Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer".

Lehners "Jagd", wie er selbst es nennt, ist neun Jahre her, die eigentliche Zielscheibe war ein Film: Jean-Jacques Annaud drehte gerade mit Brad Pitt in der Hauptrolle die Buchverfilmung "Sieben Jahre in Tibet", als Lehner in den National Archives in den USA zu suchen begann - und mit 80 Seiten Akten zurückkam. Bei einem Interview mit dem 86-jährigen Heinrich Harrer präsentierte er ihm die bisher unbekannten Dokumente, die seine Mitgliedschaft in der SS, SA und NSDAP belegten. Harrer leugnete, die Dokumente gingen dennoch um die Welt. Im letzten Moment ließ der Regisseur Details im Drehbuch seines Films ändern, wie Lehner erzählt. So übergab erst in der Endfassung auf dem Grazer Hauptbahnhof ein Parteigenosse Brad Pitt eine Hakenkreuzflagge. Und als er die Grausamkeiten chinesischer Truppen in Tibet miterlebt, sagt Pitt alias Harrer nun: "Grausig. Ich darf nicht daran denken, dass ich selbst einmal so intolerant war."

Nur mit diesem Schwenk zum geläuterten Humanisten konnte Annaud es noch wagen, Harrer als Hollywood-Helden zu präsentieren. Als solcher hat sich der echte Harrer nie präsentiert. Stattdessen kann man in "Zwischen Hitler und Himalaya" im Detail nachverfolgen, wie er log, in Halbwahrheiten flüchtete, und wie beleidigend er auf Kritiker wie Reinhold Messner reagierte. Immerhin bekannte er, für die Bergsteigerei damals wohl alles getan zu haben, ob im Kommunismus, Nationalsozialismus oder in einer Demokratie. Erst in der Autobiografie "Mein Leben" (2002) findet sich ein Ansatz von Selbsterkenntnis.

Diese Nachgeschichte hat Harrers Bild mehr beschädigt als seine frühen Sympathien für den Nationalsozialismus. Seit 1933 war er, wie seine Unterschrift unter einem späteren Dokument bestätigt, SA-Mitglied (er habe damals wohl nur "angeben" wollen und deswegen die Unwahrheit geschrieben, sagte Harrer dazu); 1938 wurde er SS-Mitglied. Die Eiger "Mordwand" soll er als Einziger in der Gruppe, wie einer der Gefährten später erzählte, mit einem Hakenkreuz-Wimpel im Rucksack bestiegen haben. In einem NS-Propagandawerk "Um die Eiger-Nordwand" heißt es im Beitrag Harrers: "Wir haben die Eiger-Nordwand durchklettert über den Gipfel hinaus bis zu unserem Führer!" Das sei von einem Ghostwriter, sagte Harrer; Indizien stützen seine Version.

Nach der Nordwand-Besteigung heiratete der Nationalheld "auf ausdrücklichen Wunsch des Reichsführers SS" Himmler (Telegramm eines SS-Offiziers) die Tochter des Polarforschers Alfred Wegener, Schwägerin des steirischen Gauleiters Siegfried Uiberreither. 1939 nahm er an der Expedition der nationalsozialistischen Himalaja-Stiftung auf den indischen Nanga Parbat teil; nach britischer Gefangenschaft und Flucht nach Tibet kehrte er erst 1952 nach Europa zurück. Die Tochter eines Mitgefangenen im indischen Lager Deolali gab an, ihr Vater habe Harrer "als einen der überzeugtesten Nationalsozialisten geschildert, der auch nach der Wende von Hitlers Kriegsglück 1941/1942 nie die Seiten wechselte".

Bekannt hat er sich nie dazu. In seinem Buch über die Eiger-Besteigung "Die weiße Spinne" (2003) kommt der Name Hitler nicht vor, über seine Kontakte zu Himmler, der ihn bei der Aufnahme in die SA unterstützt haben soll, verweigerte er bis zuletzt jede Auskunft. Auch seine Freundschaft mit "Rassenforscher" Bruno Beger, der 1970 wegen Mitwisserschaft bei einem Massenmord an jüdischen Auschwitz-Häftlingen verurteilt wurde, leugnete er. Stattdessen gelang es ihm, seine Lebensdarstellungen als objektive Geschichte zu verkaufen, das zeigt sich bis in die Wortwahl; etwa, wenn in Nachrufen von der "deutsch-österreichischen" Nanga-Parbat-Expedition die Rede war, obwohl es damals gar kein Österreich gab. Dahinter hört man den geschickten (Aus-)Blender, in seiner Autobiografie wurde auch die Gauleitung der Steiermark zur "steirischen Landesregierung".

Gerald Lehner: "Zwischen Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer" ist im Czernin Verlag erschienen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.