Hat der Mensch ein neues Erdzeitalter eingeläutet?

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Forscher debattieren über das „Anthropozän“ und seinen Beginn: mit der Landwirtschaft, der Industrie oder den Atomtests?

Leben wir erdgeschichtlich in einem neuen Zeitalter, in einem, das wir Menschen selbst eingeläutet haben, dem „Anthropozän“? Diesen Begriff prägte Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul Crutzen im Jahr 2000, ihm ging es dabei um das Klima, auf das der Mensch seit Beginn der industriellen Revolution Einfluss nimmt. Aber wir heizen nicht nur das Treibhaus, wir bauen die Erde auch großflächig um – die Menschen bewegen heute zehn Mal so viel Erde und Gestein herum wie die Natur –, und wir vertreiben das andere Leben: Arten verschwinden hundert bis tausend Mal so rasch, manche Forscher beurteilen das schon als das sechste große Massensterben. (Beim letzten, vor 65Millionen Jahren, gingen die Dinosaurier.)

All dies beunruhigt auch die, die für die Einteilung der Erdzeitalter zuständig sind, die Geologen bzw. die International Commission on Stratigraphy (ICS). „Unser Planet funktioniert nicht mehr in der Art, wie er es einst getan hat. Die Atmosphäre, die Ozeane, die Ökosysteme etc. operieren nun alle außerhalb der Normen“, erklärt Jan Zalasiewicz, Mitglied der zuständigen ICS-Arbeitsgruppe: „Das weist stark darauf hin, dass wir eine Epochengrenze überschritten haben“ (Nature, 473, S.133). Zur Klärung hat Zalasiewicz eine Tagung in London organisiert, dort waren auch Skeptiker wie Stan Finney, Chef der ICS, der die „notwendige wissenschaftliche Evaluierung“ vermisst und im Ausrufen einer neuen Zeit eher ein Streben nach Publicity sieht; andere verweisen darauf, dass unsere Zeit, das Holozän („die ganz andere Zeit“) gerade erst begonnen hat, vor 11.700Jahren (für gewöhnlich dauern Zeitalter viele Millionen Jahre).

Falls sich aber doch der Begriff „Anthropozän“ durchsetzen sollte, muss noch geklärt werden, wann es begonnen hat. Es gibt drei Kandidaten: den Beginn der Landwirtschaft vor etwa 10.000 Jahren, den Beginn der industriellen Revolution und den Beginn des Atomzeitalters. Das wurde mit den Atombombentests in den USA eröffnet, sie böten Forschergenerationen auch in ferner Zukunft eine sichere Datierungsgrundlage, die radioaktive Signatur ist weltweit in den Sedimenten. Und vielleicht kam damals, 1945, der große Umbau wirklich in Schwung; Will Steffen (Australian National University) sieht gegenüber BBC dort den Beginn der „großen Beschleunigung“: Die Weltbevölkerung hat sich seitdem verdoppelt, der Umsatz der Ökonomie gar verzehnfacht. „Das Bevölkerungswachstum ist hier keine große Frage. Das wirkliche Problem liegt darin, dass wir reicher werden und exponentiell mehr Ressourcen verbrauchen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2011)

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