Physik: Wie (stark) Radioaktivität die Erde heizt

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Die eine Hälfte der Hitze im Inneren unseres Planeten stammt noch von seiner Entstehung, die andere wird durch radioaktive Zerfälle erzeugt. Deren Spuren – „Geoneutrinos“ – werden jetzt in Japan detektiert.

Im Inneren der Erde herrscht Hitze, bis zu 5000 Grad, sie hält die Plattentektonik und mit ihr die Kontinente in Bewegung, sie hält das Eisen im Erdkern flüssig und damit das Magnetfeld in Existenz. Aber sie bleibt nicht dort, zumindest ein Teil wird dauernd abgestrahlt, 44 Terawatt (TW) gehen ins All – das ist viel, der weltweite Energieverbrauch betrug im Jahr 2000 12,8 TW –, man hat es aus Messungen in 20.000 Bohrlöchern berechnet. Und wenn man davon ausgeht, dass die innere Hitze der Rest von jener ist, die sich bei der Entstehung der Erde gebildet hat – und dass seitdem keine neue hinzugekommen ist –, dann kann man aus der Abstrahlung bzw. der Auskühlung der äußeren Schichten das Alter der Erde berechnen.
Das tat 1862 der britische Physiker William Thompson, der spätere Lord Kelvin. Er kam auf 20 Millionen Jahre und unterfütterte damit eine Polemik: „Was sollen wir von geologischen Abschätzungen halten wie jenen, dass Weald (eine Region in England; Anm.) durch 300 Millionen Jahre Erosion geformt worden sei?“ Der Adressat blieb ungenannt, er hieß Charles Darwin und hatte „mit Thompsons Ansicht der Welt eine Zeit lang“ seine „sauersten Probleme“. Denn er hatte als Geologe das Alter von Weald bestimmt, und er brauchte es als Biologe, die Mühlen der Evolution mahlen langsam, 20 Millionen Jahre reichten nicht.

Die Erde als Braten betrachtet

Aber Thompson hatte die Rechnung ohne gleich zwei Wirte gemacht. Zum einen hatte er das Alter der Erde aus dem Temperaturgradienten in der äußeren Schicht berechnet und war davon ausgegangen, dass die Wärme durch Diffusion aus der Tiefe dringt. Das ist bei festen Körpern so, etwa bei einem Braten, den man mit 180 Grad aus dem Rohr holt und in einen minus 20 Grad kalten Kühlschrank legt. Nach fünf Minuten ist der äußerste Zentimeter kalt – der Wärmegradient beträgt 20 Grad pro Millimeter –, nach zehn Minuten sind es zwei Zentimeter, der Gradient beträgt zehn Grad/mm: Er ist umgekehrt proportional der Quadratwurzel aus der Zeit, vor der das Abkühlen begonnen hat. Das kann man herumdrehen: Kennt man den Gradienten – und die Wärmeleitfähigkeit des Materials –, kann man das Alter des Bratens bestimmen. Oder das der Erde, so kam Thompson auf seine 20 Millionen Jahre.
Aber im Inneren ist die Erde nicht fest, sondern flüssig, deshalb kommt Wärme nicht nur durch Diffusion nach außen, sondern auch durch Konvektion, dann muss man anders rechnen. Als Erster tat das Thompsons Assistent Perry, er kam auf zwei bis drei Milliarden Jahre. Das ist frappant nahe an den wirklichen 4,6 Milliarden, die man später aus radioaktiven Zerfallsprodukten berechnet hat. Dass es diese überhaupt gibt, wusste man zu Thompsons Zeiten noch nicht – Henri Becquerel entdeckte die Radioaktivität 1896 –, das ist der zweite Wirt, ohne den die Rechnung gemacht war: Der radioaktive Zerfall heizt dauernd, er trägt zur Wärmeabstrahlung der Erde bei. Man hat die Größenordnung berechnet – auf der Annahme, dass die frühe Erde chemisch so zusammengesetzt war, wie es heute noch Zeugen der Entstehung des Sonnensystems sind, Meteoriten etwa –, man kam auf 20 TW, etwa die Hälfte der gesamten Abstrahlung.
Man hat gut gerechnet, das bestätigt nun eine weltweite Gruppe um Itaruh Shimizu durch Messungen: Sie hat einen Detektor dafür, wie viele radioaktive Zerfälle es im Erdinneren gibt. Er heißt KamLAND – Kamioke Liquid Scintillator Antneutrino Detector –, ist ein mit 1000 Liter Mineralöl und Benzol gefüllter Stahlbehälter und liegt 1000 Meter unter der Erde in Japan. Dort wartet er auf Neutrinos, Teilchen, die bei radioaktivem Zerfall entstehen, aber kaum mit anderen Teilchen interagieren. Sie rasen durch alles hindurch, auch durch die Erde. Aber ab und zu prallt doch ein Neutrino (bzw. in diesem Fall ein Antineutrino) auf ein Proton und zerschlägt es in ein Neutron und ein Positron (ein Antielektron). Trifft das auf ein Elektron, vernichten beide einander, ein Lichtblitz zeigt es. Kurz darauf kommt noch einer, wenn das Neutron von einem Proton eingefangen wird. Dieses Doppelsignal („verzögerte Koinzidenz“) ist charakteristisch für Neutrinos, damit kann man sie etwa von kosmischen Strahlen unterscheiden. Aber Neutrinos kommen aus vielen Quellen, etwa aus Atomkraftwerken. Ursprünglich wollte man die detektieren, deshalb entstand KamLAND in einer Region mit vielen AKW.

Uran, Thorium und Kalium als Brennstoff

Aber nun müssen deren Neutrinos aus der Gesamtbilanz herausgefiltert werden – die Abschaltung eines AKWs nach einem Erdbeben half den Forschern –, dann müssen noch jene herausgefiltert werden, die durch radioaktive Verunreinigung im Detektor selbst entstehen. Dann hat man endlich das Gesuchte: „Geoneutrinos“, die aus dem Erdinneren kommen. Viele sind es nicht: Die Forscher fanden von 2002 bis 2009 841 Neutrino-Kandidaten, am Ende blieben 111 Geoneutrinos. Sie dokumentieren Zerfälle vor allem von Uran, Thorium und Kalium. Und in Summe hochgerechnet bringen sie der Erde eine Wärmeabstrahlung von 24 TW, der Rest stammt noch vom Ursprung oder aus unbekannten Quellen. (Nature Geoscience, 17. 7.)
Wenn also die Hälfte der inneren Hitze von Radioaktivität kommt, kann man sie dann wieder auf das Alter der Erde umlegen und Perrys Schätzung – die ja von Radioaktivität nichts ahnte – einfach verdoppeln? Nein, erklärt Shimizu der „Presse“: „Unsere Messungen bestätigen zwar das Alter von 4,6 Milliarden Jahren. Aber nur aus unserem Ergebnis kann man das Alter schwer abschätzen, denn die Geschichte der Abkühlung der Erde ist nicht einfach.“

Elementarteilchen

Das Neutrino ist ein Elementarteilchen mit sehr kleiner Masse. Wie das Elektron hat es zwei Verwandte: das Myon-Neutrino und das Tau-Neutrino. Die Massen der drei Neutrino-Sorten sind unbekannt. Im Standardmodell der Teilchenphysik haben sie gar keine.
Von den vier Grundkräften „spüren“ die Neutrinos zwei gar nicht: die elektromagnetische und die starke Kraft. Sie kennen – neben der Gravitation – nur die schwache Wechselwirkung, die den radioaktiven Zerfall regiert. Bei diesem entstehen sie, das hat Wolfgang Pauli 1930 erstmals postuliert, um die Energiebilanz der Zerfälle zu „retten“. Erstmals nachgewiesen wurden sie 1956.

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