In Linz sieht der Urknall alt aus

(c) Ars Electronica
  • Drucken

So retro kann Physik sein: „Origin“, eine Werbeschau des Kernforschungszentrums CERN, wirkt in ihrem großspurigen Pathos anachronistisch. Die Ausstellung atmet die Aura der Siebzigerjahre.

"Origin", Ursprung, heißt die neue Ausstellung im Linzer Ars Eletronica Center. Das mag vergleichsweise nüchtern klingen in einer Stadt, in der das Stadtmuseum den Namen „Genesis“ trägt, aber es verrät doch den Anspruch der Institution, die sich hier darstellt: das CERN, das europäische Zentrum für Kernforschung, das heuer Partner der Ars Electronica ist. Diese Partnerschaft soll laut Wissenschaftler Michael Doser vorbildlich für eine neue „Kulturpolitik“ des CERN sein, das sich mit höchstem Pathos als „Forschungszentrum der Menschheit“ bezeichnet. „Dort gewonnene Erkenntnisse sprengen die Grenzen unseres naturwissenschaftlichen Verständnisses“ steht im Ars-Prospekt.

Große Worte. „Wie alles begann“ ist diesmal der Untertitel der Ars Electronica: Das Festival, das sich traditionellerweise der (technologischen) Zukunft widmet, ist heuer also „retro“ im denkbar weitesten Sinn. „Die Erforschung des Urknalls“ ist das Motto der „Origin“-Ausstellung, und das zeigt schon, dass diese auch ästhetisch ziemlich „retro“ ist: Sie atmet die Aura der Siebzigerjahre, als Wissenschaft – vor allem die über das „All“ – nicht pathetisch genug dargestellt werden konnte, als das Raumschiff Enterprise im Mahagoni-Wohnzimmer noch in unendliche Weiten vorstieß. Und als Größe noch zählte: „Halb so groß wie die Kathedrale Notre-Dame in Paris (!)“ sei der Detektor „Atlas“, liest man, das Rufzeichen soll wohl die Andacht verstärken.

Ganz sicher kommt der Kältetod

Kopfhörer auf! Auf „eine Reise auf die dunkle Seite des Universums“ möge man sich begeben, schwelgt eine von „spacigen“ Sounds (auch sehr 70er) untermalte Stimme: Dort, im Dunkel, warten „geheimnisvolle Teilchen wie Wimps, Axionen und Machos“. Klingt gut; dass die Astronomen unter „Machos“ keine Teilchen, sondern Sterne (im Halo von Galaxien) verstehen, muss man ja nicht wissen, Hauptsache dunkel. „So besteht das Universum aus vielen Rätseln“, sagt die Stimme, doch der überspannte Gravitationsphysiker Michio Kaku (Hobby: Wurmlöcher) weiß genau, was passiert: „Ganz sicher wird das Universum den Kältetod sterben.“

Ganz sicher. So sicher wie das „Standardmodell“ der Teilchenphysik ein in sich geschlossenes Theoriengebäude ist, dem nur mehr das verzweifelt gesuchte Higgs-Teilchen fehlt. Das ist es nicht, es ist vielmehr ein Sammelsurium aus zwei bis drei unterschiedlich gut ausgearbeiteten Quantenfeldtheorien und der (völlig andersartigen) Allgemeinen Relativitätstheorie, behaftet mit einer Menge willkürlicher Parameter und nicht erklärbarer Konstanten.

Doch die „gültige“ Darstellung, auf die sich die PR-Organe der Teilchenlabors geeinigt haben, wird natürlich in den Schaukästen der „Origin“-Ausstellung reproduziert. Eine „Art Rezept für das Universum“ sei das Standardmodell, liest man, und man sieht das Elektron (kobaltblau) und seine großen Brüder, das Myon (kobaltblau, mit Streifen) und das Tau (kobaltblau, gefleckt). Das Gluon ist ein giftgrünes Gewinde, das Photon eine Art Welle. Das Graviton, manchmal auch „Gravitron“ geschrieben, sieht auf der Schautafel etwas abenteuerlicher aus, aber gut, das kennt man ja auch noch nicht...

Egal. Die Protonen kennt man und schießt sie im Large Hadron Collider des CERN aufeinander. Im Ars Electronica Center steht stattdessen ein zwölfeckiger Billardtisch mit roten Kugeln. Wenn man diese heftig und laut genug kollidieren lässt, provoziert das auf den Videoschirmen einen Blitz, der entfernt an die Bilder der Teilchenspuren erinnert. Davor sammeln sich die Kinder; und das ist es auch schon, das interaktive Element der „Origin“-Ausstellung.

In der Zeitleiste: Das neue Heidentum

Nicht fehlen darf dafür eine „Timeline“ vom „Time And Space Start“ bis heute, in der neben kosmischen auch kulturelle und religiöse Ereignisse aufgelistet sind. Zum Beispiel: „3228–3102 v.Chr.: Krishnas Leben auf der Erde“. Oder: „1972–2004: Der Germanische Neopaganismus beginnt (auch Odinismus genannt)“. Wie sich der wohl mit dem Standardmodell verträgt? Sollte man die Gravitonen in Erinnerung an den Freiherrn von Reichenbach (den „Zauberer vom Cobenzl“, 1788 bis 1869, der die von ihm postulierte Lebenskraft nach Odin „Od“ nannte), vielleicht als Odonen bezeichnen?

Im Ernst: Das einzige Objekt in der Ausstellung, das einen Kontrast zum dick aufgetragenen Welterklärer-Schmalz bildet, ist eine schlichte Wasserstoffflasche, als „Protonenquelle“ beschrieben. Das immerhin ist schön lakonisch und korrekt.

Ars Electronica

Das Linzer Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft, heuer in Kooperation mit der internationalen Forschungseinrichtung CERN, dauert von 31.August bis 6.September. Es zeigt u.a. die Physik-Kunst-Ausstellung „Symmetries“ im Brucknerhaus und eine Installation namens „100000 m3bewegte Luft“ im Mariendom. Der Sender Ö1 errichtet auf dem Hauptplatz ein Kuppelzelt namens „Zendom“. Beim Symposion sprechen u.a. die renommierten Physiker Anton Zeillinger und Lisa Randall.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.