Klangwolke: Ein Universum mit viel Feuerwerk

Universum viel Feuerwerk
Universum viel Feuerwerk(c) APA/RUBRA (RUBRA)
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Ars Electronica: Das Linzer Spektakel und das Symposium zum Festival überschritten heuer beide die Grenze zwischen Physik und Metaphysik.

Hallo Leute, wer kann mir bitte helfen? Ich kann gar nicht aufhören nachzudenken – über das Universum und was vorher war!“ Mit diesem Hilferuf begann am Samstagabend die Linzer Klangwolke, die populäre Massenveranstaltung am Donaustrand, die organisatorisch nicht zur Ars Electronica gehört.

Zumindest heuer schloss sie sich inhaltlich eng ans Ars-Thema an: „Origin“, also Ursprung, vor allem des Universums. Eine stolze Abordnung war vom Teilchenlabor Cern angereist, um dessen Forschung zu präsentieren – und sah sich im Symposium mit dem alten, aber frischen chilenischen Radikalkonstruktivisten Humberto Maturana konfrontiert, der in aller Gelassenheit meinte: „Wir Menschen sind der Ursprung von allem, auch der Ursprung des Urknalls.“

Von objektiven Naturgesetzen will Maturana naturgemäß nichts wissen, „fundamental relativity“ nennt er seine Haltung. „Wir sind schlecht dazu ausgerüstet, das Universum zu verstehen“, gab der Astrophysiker Roger Malina zu. Dennoch stellten die Physiker in Linz ihr (seit ca. 20 Jahren aktuelles) Weltbild mit Entschiedenheit vor: 70 Prozent des Universums bestehe aus Dunkler Energie, 20 aus Dunkler Materie. Von beiden wissen wir nicht, was sie sind, sie entziehen sich auch der elektromagnetischen Kraft und damit unseren Blicken. Bleiben karge fünf Prozent, die wir sehen und verstehen können.

In „unserem“ Universum, muss man heute offenbar dazusagen. Denn verblüffend viele Physiker finden sich bereit anzunehmen, dass nicht nur ein Universum (mit seinen hunderten Milliarden Galaxien, die jeweils aus hunderten Milliarden Sternen bestehen) existiert, sondern viele, womöglich unendlich viele Universen, deren Gesamtheit man „Multiversum“ nennt. Dass „unser“ Universum just so ist, wie es ist (also so, dass wir darin entstehen konnten), muss in diesem Weltbild nicht mehr erklärt werden: Es ist halt so, andere sind anders. Und für einen Gott sei in einem ewigen Multiversum kein Platz mehr, konstatierte Kosmologe Paul Davies, der auch bekannte: „Für mich ist Wissenschaft wie eine Religion.“

Mit diesem verschwenderischen Konstrukt eines Multiversums hat die Kosmologie den wissenschaftlichen Common Sense verlassen – dass man nur Objekten eine Existenz zuschreibt, die einer Beobachtung (im weitesten Sinn) zugänglich sind. Und sie verstößt vehement gegen den als „Rasiermesser“ bekannten Rat des Wilhelm von Ockham: Man soll nicht die Existenz von mehr Entitäten annehmen als notwendig. Ein weiterer Einwand kam von einem Physiker (und wurde nicht entkräftet): Mit dem Multiversum feiert die von Albert Einstein verworfene absolute Zeit ein Comeback: als eine Zeit „außerhalb“ aller Universen, in der sich deren Werden (und Vergehen) abspielt.

Welcher Geist erschafft die Materie?

„Es ist nicht die Materie, die das Denken hervorbringt; es ist das Denken, das die Materie hervorbringt“, sagte Giordano Bruno. In diesem Sinn sind die Physiker, die sich Myriaden an Universen ausdenken, ungewöhnlich fruchtbar, könnte man ironisch sagen. Doch Bruno hat das natürlich nicht so gemeint: Er sprach vom Geist Gottes, nicht vom Geist der Physiker. Wie es Medientheoretiker Derrick de Kerckhove meint, der Bruno zitierte und als „großen Physiker (wider Willen) der Quantenmechanik“ bezeichnete, das wurde nicht ganz klar. Wie viele Konstruktivisten tändelt er mit extremen Interpretationen der Quantenphysik, denen zufolge der Beobachter erst die beobachteten Phänomene hervorbringt – bis hin zur wilden Idee, dass die Existenz von intelligenten Beobachtern rückwirkend die Parameter „unseres“ Universums bestimmt und es damit erschafft. Ob der Mond denn erst da wäre, wenn man ihn sieht – mit dieser polemischen Frage reagierte einst Einstein.

Außerirdische lesen Galilei und Darwin

Womit wir wieder bei der Klangwolke wären. Denn auch dort hörte man Sätze, die dieser esoterischen Physikinterpretation entspringen: Schwarze Löcher, Dunkle Energie etc. seien „nur Gedanken anderer Menschen“, raunte da etwa eine Stimme. War es ein Außerirdischer? Solche sind es nämlich, die im Setting des heurigen Spektakels – namens „Feuerwelt – eine Science fiction“ – unsere Erde beschützen und entdecken, dass sich die Erdlinge einiges gedacht haben; zitiert werden u.a. Galilei, Darwin und Schopenhauer, erzählt werden Mythen von Prometheus bis zum Gral. Schließlich beschließen die Fremden, dass „wir“ reif sind, selbst Verantwortung zu übernehmen und entlassen uns in die Freiheit – mit einer letzten Predigt und einer durchaus nicht kitscharmen Version von „Blowin' In The Wind“.

Welche Rolle das exzessive Feuerwerk in dieser Story spielt, wurde nicht ganz klar. Schön und laut war es, und der alte Mond stand etwas abseits über Linz und freute sich wohl, dass auch er Beobachter fand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2011)

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Der Urknall ist kein Kunstprojekt

Manche Physiker des Cern werben für ihre Forschung noch immer mit zu viel Pathos und zu vielen Superlativen.

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