Carnuntum: Wo Gladiatoren trainierten

Carnuntum Gladiatoren trainierten
Carnuntum Gladiatoren trainierten(c) Dapd (M.Klein/7reasons)
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Ohne einen Spaten in die Hand zu nehmen, haben Archäologen in Carnuntum eine Gladiatorenschule gefunden und dreidimensional rekonstruiert.

Archäologen beschäftigen sich vorwiegend damit, im Boden nach Hinterlassenschaften früherer Generationen zu wühlen – eine staubige Angelegenheit also. Diese Ansicht war früher, in Zeiten von Heinrich Schliemann oder Howard Carter, richtig. Heute muss es aber nicht mehr so sein: In Carnuntum haben Archäologen nun mit Methoden der „geophysikalischen Prospektion“ einen Gebäudekomplex gefunden und rekonstruiert, ohne dabei eine Schaufel auch nur angegriffen zu haben: eine Gladiatorenschule, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Amphitheater der Zivilstadt befunden hat.

Archäologen bezeichneten den Fund als „Sensation“, die laut Markus Scholz vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz von „internationaler Bedeutung“ sei. Es handelt sich um eine von derzeit vier bekannten Gladiatorenschulen. Am besten bekannt ist der „ludus magnus“ in Rom (beim Kolosseum), weitere Exemplare wurden in Pompeji und im spanischen Ampurias gefunden.

In Carnuntum wurden ungeahnte Details offenbar – von Wasser- und Abwasserleitungen über Trainingshallen mit Fußbodenheizungen und Estrichböden bis hin zu einem kleinen Amphitheater aus Holz, in dem die Gladiatoren trainierten und wo ihr „Marktwert“ bestimmt wurde.

Gladiatoren – in Carnuntum gab es vermutlich 40 bis 60 – waren meist Sklaven, ihre Besitzer erhofften sich aus Wetten hohe Gewinne. Manche Gladiatoren wurden berühmt, ihre „Lebenserwartung“ lag aber oft nur bei vier oder fünf Kämpfen. Die Entdeckung erhellt viele Details aus dem Leben der antiken „Kampfmaschinen“: z.B. rund fünf Quadratmeter große Wohnräume, im Keller Zellen für renitente Gladiatoren oder ein Gräberfeld.


Noch nicht ausgegraben. Der Fund vervollständigt das Bild, das die Archäologen vom „Amphitheater II“ hatten – dieses bot Platz für 13.000 Besucher (Carnuntum hatte seinerzeit rund 50.000 Einwohner). Auf der anderen Seite der Zufahrtsstraße waren bereits Läden, Verkaufsräume und Tavernen bekannt, mitsamt der Gladiatorenschule ist der archäologische Befund nun nach Einschätzung der Archäologen weltweit einzigartig.

Aufmerksam auf den Fundkomplex wurde man durch verdächtige Schattierungen auf Luftaufnahmen, dann erforschte das „Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie“ das Areal mit einem modernen Bodenradar – innerhalb weniger Stunden hatte man dann detaillierte Daten (siehe unten).

Wirklich ausgegraben wird die Gladiatorenschule vorerst nicht. Das hat viele Gründe: Der Boden ist der beste Schutz gegen Umwelteinflüsse. Weiters zerstört jede Ausgrabung die ursprünglichen Fundzusammenhänge, durch Fehler und mangelhaftes Wissen wurden schon oft große Schäden angerichtet. Und zudem werden die archäologischen Methoden in Zukunft vermutlich noch besser werden.

Wenn man derzeit über das Areal geht, dann sieht man folglich – nichts. Mit Hilfsmitteln wird die Gladiatorenschule aber dennoch sichtbar: Die Gebäude wurden im Computer dreidimensional rekonstruiert, mit der Methode der „Augmented Reality“ können diese Bilder, abhängig von Standort und Blickrichtung, auf einem Display – etwa iPod oder Smartphone – eingeblendet werden.

Die Archäologen in Carnuntum unter der Leitung von Franz Humer arbeiten bereits seit Längerem mit solchen modernen Methoden. So wurde etwa das Forum (Marktplatz) der antiken Stadt lokalisiert und im Computer rekonstruiert. Man hat sich derart auch einen Überblick über die gesamte Ausdehnung des antiken Areals verschafft – ein 350 Quadratmeter großes Stadtmodell kann seit heuer in Carnuntum besichtigt werden.

Bilder, Videos, Apps zum Download:

http://carnuntum.7reasons.at

www.wikitude.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2011)

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