Wir sind Geschöpfe von Parasiten

(c) EPA (Laurent Gillieron)
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Die großen Erfindungen der Evolution kommen in Sprüngen. Für sie sorgen Parasiten im Genom. Günther Wagner, Österreicher in Yale, hat es erkundet.

Evolution ist Mutation und Selektion: Einzelne Gene verändern sich minimal, das wirkt sich im Phänotyp aus, und der bewährt sich in der Umwelt oder auch nicht. So steht es in den Büchern, aber nicht nur Kreationisten schütteln darüber die Köpfe bzw. die Bibel, auch für manche Biologen hat das Modell ausgedient, zumindest dort, wo es um große Innovationen geht. Etwa um den Übergang von eierlegenden Reptilien zu Säugetieren bzw. bei ihnen zu Plazentatieren. Dazu musste viel umgebaut werden: Dort, wo zuvor Eier mit Schalen produziert wurden, nistet sich nun etwas Fremdes im Körper ein – die Hälfte der Gene stammt vom Vater –, so etwas wird für gewöhnlich vom Immunsystem angegriffen.

Aber werdende Plazentamütter lassen es nicht nur zu, sie versorgen den Embryo auch, durch den mütterlichen Teil der Plazenta. „Der kam nicht in kleinen Schritten, sondern in einem großen Paket“, berichtet Günther Wagner, österreichischer Biologe an der Yale University, der „Presse“: Er hat Plazentagene von Opossums, Gürteltieren und Menschen verglichen. Opossums sind Beutelsäuger, die Embryos nur zwei Wochen im Uterus tragen, dann wandern sie in den Beutel. Bei Gürteltieren und Menschen hingegen wird neun Monate ausgetragen. Die Differenz zeigt sich in den Genen: „Die Plazenta von Gürteltieren und Menschen hat 1000 bis 2000 Gene neu rekrutiert“, erklärt Wagner, „das gesamte Gen-Netzwerk wurde radikal umgestrickt.“

Springende Gene treiben voran

Von wem? Von Transposons, das sind Parasiten im Genom, bei uns stellen sie etwa die Hälfte der gesamten DNA. Sie heißen auch „springende Gene“, sind aber keine Gene im strengen Sinn, sorgen nicht für die Produktion von Proteinen. Stattdessen nisten sie sich im Genom an immer neuen Orten ein, scheinbar funktionslos, lange hielt man sie für Müll („Junk-DNA“). Aber sie setzen sich bevorzugt an genetische Schaltstellen und induzieren viele Änderungen auf einen Schlag, bei der Plazenta sorgten sie vermutlich für die Kommunikation zwischen Mutter und Embryo (Nature Genetics, 25.9.). „Es hat in den letzten zwei Jahrzehnten dramatische Veränderungen unseres Verständnisses der Evolution gegeben. Früher dachten wir, dass kleine Mutationen sich akkumulieren, aber jetzt haben wir eine große Cut-and-paste-Aktion gefunden“, schließt Wagner.

Aber das ist noch nicht das Ende: Die mütterliche Seite ist nur die äußerste Schicht der Plazenta, in der Hauptsache ist sie ein Organ des Embryos. Auch das entstand mit der Hilfe von Parasiten, man weiß es schon länger. Diesmal kamen sie nicht aus dem eigenen Genom, sondern von außen: Es waren Retroviren, die setzen sich ins Genom und sind höchst gefährlich, das bekannteste ist HIV. Um die Zeit der Geburt der Säugetiere kam eines, das ein Protein (Syncytin) produzieren ließ, um das herum die Plazenta aufgebaut wurde und wird. Es trafen also „zwei Riesenzufälle zusammen“ (Wagner), aber Kreationist muss man deshalb nicht werden, die Evolution hat Zeit und kann sich Sackgassen leisten. So lange sie nur von Parasiten vorangetrieben wird. Die haben wohl noch andere Erfindungen initiiert, etwa die der sexuellen Vermehrung. Deshalb gab ihnen der Wissenschaftsjournalist Carl Zimmer schon lange einen passenden Namen: „Parasit rex“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2011)

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