Wiener Forschern gelingt eine Revolution der Genetik

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Gruppe um Josef Penninger hat Säugetierzellen mit nur einem Chromosomensatz hergestellt. Damit lässt sich die Funktion jedes Gens erkunden. Was wir geschafft haben, wird die Genetik revolutionieren“, sagt er.

Was wir geschafft haben, wird die Genetik revolutionieren“, berichtet Josef Penninger vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien: „Wir haben den alten Traum verwirklicht, die Hefegenetik auch für Säugetiere zu etablieren.“ Was? Das soll eine Revolution sein, ein alter Traum? Was hat Hefe denn Besonderes? Sie hat Formen, die haploid sind, nur über einen Chromosomensatz verfügen. Deshalb kann man an ihr lernen, welche Funktion jedes einzelne Gen hat: Wenn eines mutiert ist – oder von Forschern wird –, zeigt sich eindeutig, wozu dieses Gen da ist.

Das geht bzw. ging bisher bei unseren Genen und denen aller anderen Säugetiere nicht (so einfach): Wir sind diploid – haben zwei Chromosomensätze – , und das für die Genetiker wichtigste Säugetier, die Maus, ist es auch. Wenn man bei ihr ein Gen mutiert oder ausschaltet, ist immer noch das Gegenstück auf dem anderen Chromosom („Allel“) da, das kann einspringen. Zwar kann man es herauszüchten, aber das braucht Zeit, zwei bis drei Jahre bei der Maus, und der Erfolg ist ungewiss. Deshalb nutzen Genetiker seit einiger Zeit eine Alternative: Man kann die Aktivität eines Gens mit RNA unterdrücken, und zwar auf beiden Chromosomen.

Stammzellen aus Jungfernzeugung

Aber das geht oft nur ein Stück weit – nicht die ganze Aktivität wird unterdrückt –, und es trifft oft auch andere Gene, nicht nur das angezielte. Deshalb erinnerten sich manche an eine Idee, die Martin Evans, Nobelpreisträger 2007, 1983 hatte: Wenn es gelänge, Säugetierzellen mit nur einem Chromosomensatz herzustellen – haploide –, hätte man das ideale Instrument. Mit der damaligen Technik ging das nicht, mit der heutigen ist es zeitgleich zwei Gruppen gelungen, der um Penninger in Wien (Cell Stem Cell, 9, S.1) und einer um die Österreicher Martin Leeb und Anton Wutz in Cambridge (Nature, 7.9.). Ausgangspunkt war jeweils eine haploide Zelle der Maus, es gibt solche auch bei Säugetieren: Keimzellen – Eizelle und Sperma –, haben nur einen Chromosomensatz, der zweite kommt hinzu, wenn sie miteinander verschmelzen. Und Eizellen kann man mit Chemikalien dazu anregen, sich ohne Befruchtung zu Embryos zu entwickeln – Jungfernzeugung, „Parthenogenese“ –, weit genug, um ihnen embryonale Stammzellen zu entnehmen. Aber es gibt eine Tücke: Wenn haploide Zellen sich teilen, werden die meisten wieder diploid, nur wenige bleiben haploid, 0,2 Prozent.

„Mein Mitarbeiter Ulrich Elling hatte die Idee, die herauszusortieren“, berichtet Penninger, und nach sieben Hightech-Durchgängen in Folge hatte Elling die haploiden Zellen. Man konnt Zelllinien etablieren – und deren Nutzen an einem drastischen Beispiel demonstrieren, an Rizin. Das ist ein Gift – Bioterroristen haben schon damit gedroht –, das alle Zellen tötet. Nur die nicht, die an dem Gen, an dem Rizin ansetzt, eine Mutation haben. Um die zu finden, genügen zwei Griffe in die Wunderkiste der Molekularbiologen: Man kann mit Viren Zellen dazu bringen, dass alle ihre Gene mutieren, nicht in jeder die gleichen. Dann badet man sie in Rizin und sucht bei den Überlebenden mit Sequenziermaschinen das mutierte Gen, das geht heute rasch, Penninger und Elling brauchten nicht lange.

Nun könnten sie ein Mittel gegen Rizin entwickeln, aber das Beispiel ist doch eher exotisch, Penninger will sich auf Näherliegendes konzentrieren, er testet an den Zellen Gifte, die in der Krebstherapie eingesetzt werden. „Das ist typische ,forward genetics‘“, erklärt der Forscher, „aber wir wollen natürlich auch ,reverse genetics‘ betreiben.“ Dabei sucht man nicht nach einem Gen, sondern geht von einem aus und erkundet seine Funktion. Und hier zeigt sich die wirkliche Stärke der neuen Technik: Ihre Zellen sind embryonale Stammzellen, aus denen kann man jeden Typ von Zellen züchten, Nerven- oder Herzzellen etwa. Dann kann man nun zusehen, welche Gene bei der jeweiligen Entwicklung wie mitspielen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2011)

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