Wiener Ärzte finden neue Strategie gegen Dauerschmerz

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Schmerzen können sich verfestigen zum „Schmerzgedächtnis“. Dagegen half bisher nichts. Nun lassen Opioide hoffen. Das Schmerzgedächtnis kann gelöscht werden.

Schmerzen erleidet niemand gern, aber sie sind lebenswichtig, warnen vor einer Gefahr. Allerdings können sie auch unerträglich werden – dann hilft der gemäßigte Einsatz von Opioiden über lange Zeit –, und sie können es auch bleiben, chronisch werden und auch noch da sein, wenn ihre Ursache längst verschwunden ist. Dann hat das „Schmerzgedächtnis“ die Empfindung verfestigt, es ist etwas schiefgegangen in den Leitbahnen, die Schmerzen vom Körper in das Gehirn melden.

In diesen Leitungen gibt es eine entscheidende Schaltstelle: Schmerzen werden über das periphere Nervensystem – es deckt den ganzen Körper ab – an das zentrale Nervensystem gemeldet, das besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark. In dem treffen die peripheren Nerven auf die zentralen. Und an diesem Verknüpfungspunkt werden beim Schmerzgedächtnis die Rezeptoren der Nervenzellen für einen Botenstoff verändert, Glutamat: Es werden mehr Rezeptoren gebildet, und sie sind obendrein empfindlicher. „Opioide in der herkömmlichen Medikamentierung – schwache Dosis über lange Zeit – haben in diesem Fall keine Wirkung“, berichtet Jürgen Sandkühler (Med-Uni Wien), der die Veränderung der Rezeptoren früher erkundet hat, der „Presse“.

Falsche Erinnerung wird ausradiert

Nun hat der Forscher einen Ausweg aus der Misere gefunden: „Das Schmerzgedächtnis kann gelöscht werden, wenn man Opioide nur kurz, aber in hohen Dosen verabreicht.“ Dann aktivieren sie in den Nervenzellen Enzyme, die die Veränderungen der Glutamatrezeptoren „ausradieren“. Bei diesen Veränderungen handelt es sich um eine Phosphorylierung und eine Dephosphorylierung, beide werden durch hoch dosierte Opiate rückgängig gemacht (Science, 335, S.235). Sandkühler und sein Team haben das an Ratten gezeigt, die in Narkose gehalten wurden, sie bemerkten den Schmerz nicht, aber die Forscher konnten ihn an den Nervenzellen messen.

Sie wussten allerdings auch, dass hoch dosierte Morphine nicht harmlos sind, sondern die Atmung verlangsamen – das kann bis zur Lahmlegung gehen –, die musste bei den Ratten unterstützt werden. Das müsste sie auch bei Menschen, zumindest durch gutes Zureden – „Schnauf weiter!“ –, das reichte in ersten Tests. „Eine Therapie dürfte nur von erfahrenen Schmerztherapeuten und Anästhesisten gemeinsam durchgeführt werden“, mahnt Sandkühler. jl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2012)

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