Leichenschändung: Die Tötung der Toten

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Dass US-Soldaten in Afghanistan auf Menschen urinieren, die sie zuvor getötet haben, verstört selbst das Pentagon. Aber so ein Umgang mit dem besiegten Gegner hat Tradition.

Hektor dahergeschleift den zerfleischenden Hunden zu geben“, das hat Achill seinem Freund Patroklos versprochen – nach dessen Tod, an dem Hektor nicht unbeteiligt war. So geschieht es, zumindest teilweise: Achill schleift den toten Hektor dreimal um Patroklos' Grab, lässt ihn dann liegen, „im Staube gestreckt auf sein Antlitz“. Apoll schützt „den schönen Leib vor Entstellungen“, doch der maßlose Achill schleift die Leiche zwölf Tage lang...

Das ist die berühmteste aller Schändungen eines getöteten Gegners, die einzige ist es nicht, auch der Perserkönig Xerxes ließ den getöteten Leonidas enthaupten und kreuzigen, als er endlich die Thermopylen eingenommen hatte. Das sollte schon auch den übrigen Spartanern den Mut nehmen – es hatte den gegenteiligen Effekt –, aber es war vor allem eine symbolische Handlung, die einen schon Toten noch einmal tötet und ihm alles nimmt, was er doch noch hat, die Würde, die Ehre. Oder die Kraft, wenigstens die Erinnerung daran: In einem von Shakespeares Königsdramen eilen nach einem Kampf „die Mütter der Sieger“ auf das Schlachtfeld und „entmannen“ die Opfer der unterlegenen Seite. Die sind nun endgültig keine Männer mehr, auch keine Menschen, sie sind entstellt und besudelt.

„Eines Hellenen nicht würdig“

Darum geht es der Schändung – nicht einfach um das Vorzeigen einer Trophäe –, aber auch darum, den Schänder selbst zu erhöhen, er hat im Akt der Schändung die Macht, alle Macht, auch er ist kein Mensch, sondern fast ein Gott. Nicht jeder hat das nötig: Die Thermopylen hatten ihr Nachspiel bei Plataia, in dieser Schlacht wurden die Perser endgültig aus Griechenland vertrieben, ihr Feldherr Mardonios fiel, aber der Führer der Spartaner, Pausanias lehnte es ab, die Leiche zu schänden: „Dies sei eines Hellenen nicht würdig“, überliefert Herodot, „aber auch bei Barbaren tadelswert.“

So reagiert die gehobene Moral auf den Anblick von Geschändeten, aber der schlichte Körper tut es auch: Die jüngsten Bilder aus Afghanistan hätten ihm „den Magen umgedreht“, erklärt Pentagon-Sprecher John Kirby nach dem Betrachten des Videos, auf dem vier Männer in US-Marineuniform auf die Leichen getöteter Taliban urinieren. Das erinnert – wenn denn das Video echt ist – an die Bilder aus dem Gefängnis Abu Ghraib im Irak, in dem Gefangene misshandelt wurden und die Peiniger mit breitem Lachen ihre Macht genossen. Das gleiche Grinsen zeigte das „Kill Team“, eine Bande von fünf US-Soldaten, die im Jahr 2010 in Afghanistan Zivilisten ermordeten – und anschließend posierten, regelrecht in das Blut der Opfer gebadet. Im jüngsten Fall kommt nun noch ein Körpersaft dazu, Urin, er gilt in den meisten Kulturen als unrein, im Islam ist er eine der „Nadschasa“, der rituell unreinen Substanzen. In Wien war die Erregung schon groß, als ein Kunstplakat zwei Frauen zeigte, die im Stehen in den Teich vor der Karlskirche urinierten: „Diese ,Künstler‘ pissen auf Wien!“, kommentierte „Heute“.

Wie groß muss die Erregung erst sein, wenn auf ein Heiliges Buch gepisst wird? Das geschah im US-Sondergefängnis Guantánamo – es feierte gerade seinen zehnten Jahrestag –, dort wurden Koranbücher von Gefangenen mit Urin bespritzt. Das geschah mit voller Absicht, das jetzige Urinieren auf die Leichen hingegen scheint eher einer Laune entsprungen, auch diese Männer sind gespenstisch gut gelaunt, sie begleiten ihr Geschäft mit ihrem Humor: „Have a nice day, buddy“, sagt einer zur Leiche, die er besudelt, auch Verhöhnung gehört zur Schändung.– Wie kommt es zu so etwas? Und warum ist immer eine Kamera dabei? Getötet, gefoltert und geschändet wurde zu allen Zeiten, aber früher hielt man sich dabei meistens im Dunkeln: Es gibt keine Fotos von Folter aus einem KZ, auch Kriege und ihre Gräuel wurden vor allem von Pressefotografen dokumentiert. Aber heute drücken die Täter selbst auf den Auslöser, das wird ihnen irgendwann zum Verhängnis, die Folterer von Abu Ghraib und der Anführer des „Kill Team“ wurden verurteilt. Dann sind sie im Gefängnis, aber das Phänomen ist nicht aus der Welt: Wie werden Menschen zu Schändern? Sind sie geborene Sadisten? Oder hat erst der Kasernenhof und dann der Krieg die Charakterzüge herausgearbeitet?

Man sollte nicht zu voreilig und selbstgerecht urteilen: 1971 lief an der University of Stanford das „Stanford Prison Experiment“, in ihm simulierten Psychologiestudenten ein Gefängnis, hoch realistisch. Die eine Hälfte wurde zu Insassen, die andere zu Wärtern. Und die, die dieses Los gezogen hatten, verwandelten sich in der totalen Institution so rasch in Quäler, dass das Experiment abgebrochen werden musste. siehe auch Seite 7

Störung der Totenruhe

Leichenschändung fällt juristisch unter Störung der Totenruhe. Im österreichischen Strafgesetzbuch etwa steht (§190): „Wer einen Leichnam oder Teile eines Leichnams oder die Asche eines Toten einem Verfügungsberechtigten entzieht oder aus einer Beisetzungs- oder Aufbahrungsstätte wegschafft, ferner wer einen Leichnam misshandelt oder einen Leichnam, die Asche eines Toten oder eine Beisetzungs-, Aufbahrungs- oder Totengedenkstätte verunehrt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2012)

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