Madagaskar: Erste Siedler kamen aus Indonesien

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Die Insel ist ein Schnittpunkt von Ost und West, ihre Bewohner, Menschen wie Tiere, stammen aus Asien und Afrika. Wie und woher waren die Ahnen derer gekommen, die dort lebten?

Als im Zweiten Weltkrieg Schiffe bei Indonesien bombardiert wurden, tauchten Wrackteile später 6500 Kilometer weiter westlich auf, an der Küste Madagaskars, sogar einen Überlebenden in einem Rettungsboot trieben Wind und Strömung dorthin. So könnte es schon einmal gewesen sein, irgendwann im ersten Jahrtausend, als die Menschen auf die viertgrößte Insel der Erde kamen, man schätzt das Datum grob aus genetischen, linguistischen und archäologischen Quellen. Wann es genau war, ist unbekannt, erstmals schriftlich erwähnt wurde Madagaskar 1165 vom arabischen Geografen al-Idrisi, erstmals beschrieben wurde es – als Land „an der Grenze der bewohnten Regionen der Erde“ – im 15. Jahrhundert vom arabischen Kartografen ibn Majid, bald kam auch der erste Europäer: Vasco da Gama, 1497. Aber wie und woher waren die Ahnen derer gekommen, die dort lebten?

Aus Afrika, von dem die Insel durch den 430 Kilometer breiten „Mozambique-Kanal“ getrennt ist? Manche Wörter von dort sind in das Lexikon der Insel eingegangen, aber schon al-Idrisi war etwas anderes zu Ohren gekommen: Indonesien! Das hört man heute noch, alle Dialekte haben einen austronesischen Kern, er deutet nach Borneo. Allerdings ins Inselinnere, dort wurde nie Seefahrt betrieben, dort wird diese Sprache – Ma'anyan – auch kaum mehr gesprochen, die Linguistik kann die Herkunft der Madagassen schwer klären. Deshalb hat es nun Genetiker Murray Cox (Massey University) versucht, in Vergleichen der mitochondrialen DNA, die nur von den Müttern weitergegeben wird.

Aber auch er kann den Ort nicht exakt eingrenzen – irgendwo in Indonesien –, die Zeit und die Größe der Gründerpopulation hingegen schon: Vor etwa 1200 Jahren kamen die Einwanderer, nur ein Mal und in einer kleinen Gruppe – mit 30 gebärfähigen Frauen –, Seefahrer waren es wohl nicht, vielleicht Flüchtlinge oder vom Sturm Verschlagene (Proc. Roy. Soc. B, 20.3.). Bald darauf kamen auch Siedler aus Afrika.

Beide werden über die Tierwelt der Insel gestaunt haben. Es gibt nur wenige Ordnungen, aber diese haben sich zu extremer Artenvielfalt differenziert: Nirgendwo sonst gibt es so viele Chamäleons (aber keine Salamander), und überhaupt nirgendwo sonst gibt es Lemuren (aber keine „echten“ Affen). Zudem sind alle Tiere eher klein, und die Herkunft mancher liegt in noch tieferem Dunkel als die der Menschen. Madagaskar gehörte einst zum Urkontinent Gondwana – davon zeugen noch Leguane aus Südamerika und Schlangen aus Indien –, aber er driftete auseinander, und vor 120 Millionen Jahren verlor Madagaskar auch die Landbrücke nach Afrika.

Als Erste kamen die Lemuren übers Meer

Dann blühte das Leben isoliert, aber vor der großen Katastrophe war es auch nicht gefeit. Als vor 65 Millionen Jahren ein Asteroid einschlug, starben auch auf Madagaskar die Dinosaurier – und die dortigen Säugetiere. Nachschub kam kurz darauf, vor 60 Millionen Jahren waren als Erste die Lemuren da, vor 20 Millionen Jahren kamen als letzte Säuger Nagetiere, und in der Zwischenzeit hatten es auch Krokodile und Zwergflusspferde geschafft, sie schwimmen gut.

Dann kam niemand mehr, das Zeitfenster hatte sich geschlossen: In ihm gingen die Winde und Meeresströmungen von Afrika nach Madagaskar – sie brachten wohl auch von Stürmen zusammengetriebene schwimmende Inseln aus Biomasse mit, auf denen kleine Tiere die 25- bis 30-tägige Reise überlebten –, dann drehten beide auf Gegenrichtung. Dann konnte nur noch kommen, wer fliegen konnte, und die meisten von ihnen – Vögel wie Fledermäuse – kamen wieder aus Asien: „Die Bewohner Madagaskars“, schließt Cox, „sind Kinder von Ost und West.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2012)

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