Künstliches Kreuzband aus Seide

Andreas Teuschl
Andreas Teuschl (c) Die Presse - Clemens Fabrx
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Andreas Teuschl von der FH Technikum Wien hat ein Kreuzband in der Retorte entwickelt. Stammzellen auf Seide sollen gerissene Kreuzbänder ersetzen.

Skifahren gehört für Andreas Teuschl zum Wintervergnügen dazu, dem Fußball hat er jedoch schon seit einiger Zeit abgeschworen, zu groß sei das Verletzungsrisiko. Er muss es ja wissen, immerhin beschäftigt er sich seit mehreren Jahren mit dem Topthema Nummer eins in diesem Zusammenhang: dem Kreuzband des Kniegelenks. Bei Sportverletzungen ist das Kreuzband häufig das erste Band, das aufgibt. Der Zug und die Drehung, die auf das Knie bei Sportarten wie Tennis, Skifahren und Fußball wirken, strapazieren das Band. Es reißt. 4000 Kreuzbandoperationen werden in Österreich jährlich durchgeführt.

Der junge Chemiker entwickelte mit seinen Kollegen des Stadt-Wien-Kompetenzteams „Tissue-Engineering-Bioreaktoren“ an der FH Technikum Wien, dem er seit 2012 – kaum hatte er seine Dissertation abgeschlossen – als Leiter vorsteht, einen künstlichen Kreuzbandersatz aus Seide. Seine Arbeit wurde im Dezember mit dem Günther-Schlag-Award 2014 von der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft ausgezeichnet.

Derzeit meist körpereigenes Material

Bei der derzeit gängigsten Behandlungsmethode eines Kreuzbandrisses wird körpereigenes Material, beispielsweise der Kniescheibensehne, transplantiert. Das schwächt natürlich den Körperteil, aus dem das Material entnommen wurde. Außerdem steht es nicht unbegrenzt zur Verfügung: Fußballer etwa hätten dadurch in ihrer Karriere einen wahren Materialverschleiß.

„Verschärfend kommt dazu, dass diese Sehnenteile in der frühen postoperativen Phase einen Großteil ihrer mechanischen Festigkeit verlieren und dadurch anfälliger für erneute Risse sind“, so Andreas Teuschl. Der ständig neugierige Forscher lebt nach dem Credo des amerikanischen Science-Fiction-Autors Frank Herbert: „Der Anfang von Wissen ist die Entdeckung von etwas, das wir nicht verstehen.“ Teuschl machte sich daher auf die Suche nach einem Ersatzmaterial. „Seit den 1980er-Jahren wird Seide zum Vernähen von Wunden verwendet. Sie ist die stärkste natürliche Faser und kann es problemlos mit künstlichen Fasern wie Nylon aufnehmen.“ Vorteile, die sich Teuschl zunutze machte.

Zusammen mit Wissenschaftlern des Ludwig-Boltzmann-Instituts für experimentelle und klinische Traumatologie stellte er aus Seide ein Implantat her – reduziert um ein spezielles Protein, das oft zu Abstoßungsreaktionen führt. „Das Protein Sericin ist für den Seidenspinner sinnvoll, weil es Fressfeinde abhält und hilft, die Fäden besser zu verspinnen, in unserem Fall ist es jedoch hinderlich.“ Teuschl und seinem Team gelang es, ein bereits patentiertes Verfahren zu entwickeln, durch das das Protein aus dem Seidenimplantat herausgelöst wird, ohne die Seide in ihren sonstigen Eigenschaften zu verändern. In einem zweiten Schritt werden auf dem Seidenkonstrukt adulte Stammzellen aufgebracht, die noch das Potenzial in sich bergen, jeglichen Gewebetyp hervorzubringen. Dabei handelt es sich um isolierte Stammzellen aus Fettgewebe von der Blutbankzentrale des Roten Kreuzes in Linz.

Doch woher wissen die Stammzellen, dass sie sich zu Sehnenzellen entwickeln sollen? Der Trick: Das Seidenimplantat wird in einem Bioreaktor mechanisch stimuliert, so als wäre es im lebenden Kniegelenk Zug und Drehung ausgesetzt. „Würden wir auf die Zellen beispielsweise Druck ausüben, würden sie sich zu Knochenzellen entwickeln“, erklärt Teuschl. Die Seide löst sich mit der Zeit auf und wird durch neu gebildetes körpereigenes Bandmaterial ersetzt. Derzeit ist die Methode noch in der experimentellen Phase. Soeben wurde Teuschl vom „Seidenpapst“ persönlich, David Kaplan in Boston, eingeladen, an seinem Bio-Engineering-Institut einige Monate zu forschen.

ZUR PERSON

Andreas Teuschl wurde in Allentsteig in Niederösterreich geboren. Von 2002 bis 2008 studierte er Technische Chemie an der TU Wien. 2012 promovierte er über Seidenfäden als Biomaterial in der regenerativen Medizin und der Gewebezüchtung. Im gleichen Jahr übernahm er als Leiter das Stadt-Wien-Kompetenzteam für Forschung „Tissue-Engineering-Bioreaktoren“ an der FH Technikum Wien.

Alle Beiträge unter: diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2015)

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