Zwang zur Modernisierung

Robert Groß war erstaunt, dass sich der Zorn der Naturschützer nicht gegen die Seilbahnindustrie, sondern gegen die Skiliftbetreiber richtete.
Robert Groß war erstaunt, dass sich der Zorn der Naturschützer nicht gegen die Seilbahnindustrie, sondern gegen die Skiliftbetreiber richtete.(c) Akos Burg
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Der Vorarlberger Robert Groß erforschte die Umweltgeschichte des Skitourismus in Österreich. Der Marshallplan spielte für kleine Skigebiete eine größere Rolle als gedacht.

"Das wäre, als ob man Trafikanten für die Folgen des Rauchens verantwortlich macht, statt die Tabakindustrie, die dahintersteckt“, sagt Robert Groß vom Institut für Soziale Ökologie der Uni Klagenfurt über die Rolle der Skiliftbetreiber. Er untersuchte in seiner Dissertation bei der Umwelthistorikerin Verena Winiwarter in Wien den Einfluss des heimischen Wintertourismus auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. Dabei sah er sich erstmals die Rolle der Seilbahnindustrie genau an: Er fand, dass sie die Skiliftbetreiber in einen Konkurrenzkampf trieb, mit immer neuen Technologien immer mehr Menschen auf die Berge zu befördern. Trotzdem richtete sich der Zorn der Naturschützer ab den 1970ern nur gegen Skiliftbetreiber, nicht gegen die Industrie, die die Naturzerstörung vorantrieb. Das war nur eine der Überraschungen für Groß in dem Projekt, das vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert wurde.

Die Recherche im Vorarlberger Landesarchiv machte den Wandel von Raumplanungskonzepten fassbar. Vor den 1970er- Jahren waren sie wachstumssteigernd orientiert, sollten Raum effizient nutzbar machen. Erst danach wurde von der Raumplanung sozial- und umweltverträgliches Wachstum gefordert. Vor der Umweltbewegung investierten Skigebiete unbekümmert in höhere Transportkapazitäten, rüsteten alte Einsitzer-Sessellifte auf und errichteten neue Seilbahnen, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Heimische Industrie wurde finanziert

Im Archiv fand Groß, der selbst aus Vorarlberg stammt, auch zahlreiche Belege dafür, wie wichtig der Marshallplan für den Boom der Winterindustrie war. „Bisher dachte man, dass nur Spitzendestinationen wie Lech oder Kitzbühel vom Marshallplan profitierten“, sagt Groß. Seine minutiöse Arbeit ergab, dass auch kleine Skigebiete Geld erhielten. „Von den 96 Vorarlberger Gemeinden erhielten 50 Gelder aus dem Marshallplan“, so Groß. Die Amerikaner setzten im westlichen Teil Europas auf Konsumorientierung, um zu verhindern, dass der Nationalsozialismus wieder aufkeimen bzw. der Kommunismus Fuß fassen würde. Rund 700 Millionen Dollar wurden an den Staat Österreich gezahlt, der das Geld für den Wiederaufbau einsetzte. „Der Tourismus war die effizienteste Methode, um Devisen in das Land zu bringen und um jene Industriezweige zu finanzieren, die Hotels und Skilifte bauten.“ Der berühmte weiße Ring im Skigebiet Lech, der seit den 1940ern als Pionierleistung Österreichs gilt, wäre ohne den Marshallplan nicht möglich gewesen.

Doch der Wintertourismus war schon in den 1930er-Jahren stark – unter anderem als Folge der 1000-Reichsmark-Sperre, die Adolf Hitler 1933 eigentlich zur Schädigung der österreichischen Wirtschaft einführte: Deutsche Staatsbürger mussten beim Grenzübertritt nach Österreich 1000 Reichsmark zahlen. „Um den Verlust durch die deutschen Urlauber auszugleichen, wurde der österreichische Tourismus internationalisiert und Gäste aus den Benelux-Staaten und England gezielt angeworben“, sagt Groß. Die beeindruckendste Werbung waren meterhohe Dioramen, die wie ein 3-D-Bühnenbild die Kulturlandschaft der Skiorte und Szenen des Lebens darstellten. „Sie wurden z. B. nach Holland gebracht, wo sie Reisebüros im Schaufenster aufstellten.“

Nach dem Krieg boomte der Wintertourismus und in den 1970ern gab es das Problem, dass man zwar Tausende Menschen pro Stunde auf den Berg transportieren konnte, aber die Abfahrten dem Druck nicht standhielten. „Es wurde immer enger, die Beinbruchstatistik explodierte, und die Skigebiete waren auf kalte, schneestarke Winter angewiesen.“ Skigebietsbetreiber manövrierten sich dabei in eine Abhängigkeit von Pistenraupen. „Auch die Olympischen Spiele 1964 in Innsbruck konnten nur durch den Einsatz der Ratrac-Walzen gerettet werden“, sagt Groß, der nun weiter über die Wirkung des Marshallplans forschen wird.

Wie hängen Forstwirtschaft und holzverarbeitende Industrie ökologisch und wirtschaftlich zusammen, welche Rolle spielten Gelder des Marshallplans bei der Industrialisierung der Zellulose-Industrie in Österreich? Das wird Groß nun in Archiven in Washington D.C. für drei Monate erforschen und ab August 2017 im Deutschen Museum in München. Obwohl Groß sich ganz der Forschung verschrieben hat, ist er sich angesichts des Sparkurses an Universitäten der Schwierigkeit einer wissenschaftlichen Karriere bewusst. Ein Forscher, der sich jahrzehntelang ohne Aussicht auf feste Anstellung von Projekt zu Projekt hangelt, möchte er bei allem Enthusiasmus für die Wissenschaft jedenfalls nicht werden.

ZUR PERSON

Robert Groß wurde 1974 in Vorarlberg geboren und schloss zunächst eine Lehre ab. Mit 18 Jahren zog er nach Wien und begann 2002 auf dem zweiten Bildungsweg mit einem Selbsterhalter-Stipendium an der Uni Wien Biologie zu studieren. Nach dem ersten Abschnitt sattelte er auf interdisziplinäre Umweltwissenschaften um und erforschte in seiner Dissertation die wirtschaftliche und ökologische Entwicklung heimischer Skigebiete.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2017)

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