Rätselhafte Steine

Was uns rätselhafte Steine über unsere Vorfahren sagen – und wie viel wir dennoch nicht wissen.

Als man 1924 erstmals die Wüstengebiete im Süden Perus mit Flugzeugen überquerte, entdeckte man ungewöhnliche Strukturen auf dem Boden: lange Linien und riesige Darstellungen von Tieren. Diese sind Menschenwerk, entstanden durch die Entfernung der obersten Bodenschicht. Die Scharrbilder (Geoglyphen) wurden unter dem Namen Nazca-Linien weltberühmt.

Doch warum wurden sie gemacht? Darüber gibt es viele Theorien – inklusive Unsinn à la Ufo-Landebahnen. Neuere Entdeckungen von Geoglyphen auch in anderen Regionen geben immer mehr Hinweise, dass die Linien nicht nur einen religiös-kultischen Zweck hatten, sondern auch einen sozialen: Laut einer US-peruanischen Forschergruppe dienten sie dazu, den Menschen den Zeitpunkt und den Weg zu kultischen Versammlungen zu zeigen (PNAS, 5. Mai). Die untersuchten Linien im Chincha-Tal wiesen zu einem hohen Anteil auf zentrale Ansiedlungen und Steinhügel – und vielfach in Richtung Sommersonnenwende.

Das Interessante dabei: Diese Linien stammen von einer älteren Kultur als den Nazca, den Paracas. Das bedeutet, dass Geoglyphen über lange Zeiträume als Mittel benutzt wurden, um in die staatenlosen Gesellschaften der Atacama-Wüste eine gewisse Organisation hineinzubringen – damit sich die Menschen zu bestimmten Zeiten versammeln konnten.

Manche Details dazu werden wir durch die unermüdliche Arbeit von Wissenschaftlern noch erfahren – doch viele Aspekte werden wohl immer ein Geheimnis bleiben. Und das liegt nicht nur daran, dass uns Kulturen wie die Nazca nichts Schriftliches hinterlassen haben: Auch in Europa geben steinerne Hinterlassenschaften viele Rätsel auf. Ein Beispiel dafür lieferte nun der Wiener Historiker Peter Dinzelbacher: In „Köpfe und Masken“ (192 Seiten, 22 Euro, Verlag Anton Pustet) stellt er die symbolische Bauplastik an mittelalterlichen Kirchen rund um Salzburg dar.

Welche Funktion diese Steinmetzarbeiten hatten, ist oft unklar: Bei manchen Darstellungen hat man zwar Hinweise aus schriftlichen Quellen, aber ob etwa ein Löwe an einem Portal ein Wächter oder ein Dämon sein soll, weiß man häufig nicht. Gleiches gilt für die Frage, ob den Darstellungen in einer Kirche ein übergeordnetes Programm zugrunde liegt. Zur Gewissheit, so Dinzelbacher, könne man auch hier nicht vorstoßen.

Und genau das ist offenbar auch ein Teil der Faszination, die alte Steine auf uns ausüben.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

martin.kugler@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2014)

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