Die Geheimnisse von alten Knochen

Die Geheimnisse von alten Knochen – oder: wie die Geschichtsschreibung von den Naturwissenschaften befruchtet werden kann.

Es ist erstaunlich, wie stark moderne Naturwissenschaften dabei helfen können, das Leben unserer Vorfahren zu erhellen. Davon überzeugen kann man sich seit diesem Wochenende im Universalmuseum Joanneum in Graz: In der Ausstellung „Knochencode“ im Archäologiemuseum werden die Ergebnisse der Analysen von Knochen präsentiert, die 2010 unter dem Karlsbau der Grazer Burg gefunden wurden. Dabei handelt es sich um 18 Skelette (vier Kinder und 14 ältere Menschen), die um 1300 am Ägidius-Friedhof bestattet wurden. Diese wurden unter anderem am Ludwig-Boltzmann-Institut für Klinisch-Forensische Bildgebung untersucht.

Die Ergebnisse sind ob ihres Detailreichtums verblüffend: Fast alle Skelette wiesen krankhafte Veränderungen an Zähnen, Kiefer und Gelenken auf. Sowohl Männer als auch Frauen hatten sogenannte Reiterfacetten – Gelenksflächenerweiterungen am Oberschenkelkopf durch häufiges Reiten. Mehr als die Hälfte der Erwachsenen litt zudem an schweren Mangelerkrankungen wie Skorbut (Vitamin-C-Mangel), jede dritte Frau an Osteoporose. Aus solchen Befunden schließen die Archäologen in Kombination mit den Fundumständen – die Verstorbenen waren gleichzeitig in drei Grabgruben bestattet worden –, dass die 18 Menschen einer Epidemie zum Opfer gefallen waren.

Seuchen waren damals ja nichts Seltenes, sie kulminierten im Schwarzen Tod, der zwischen 1347 und 1351 Millionen Europäer hinwegraffte. US-Forscher ließen kürzlich mit einem neuen Befund aufhorchen: Sie hatten hunderte Skelettreste von Londoner Friedhöfen vor und nach der großen Pestepidemie untersucht („Plos One“, 7. Mai). Demnach war die Seuche ein „selektiver Killer“, gestorben sind vorwiegend ältere Menschen und solche mit Gesundheitsproblemen. Nach der Pestepidemie lebten die Menschen deutlich länger als vorher. Das könnte zwei Gründe haben: Entweder verbesserte sich der durchschnittliche Gesundheitszustand, weil die kränkeren Menschen gestorben waren. Oder aber die Lebensbedingungen verbesserten sich nach 1350, weil die Überbevölkerung eingedämmt wurde: Da die Zahl der Arbeitskräfte sank, stiegen die Löhne, gleichzeitig sank die Nachfrage nach Lebensmitteln, wodurch diese billiger wurden.

Welche Erklärung die richtige ist, weiß man derzeit nicht. Aber weitere Analysen – etwa der Isotopenverhältnisse, die etwas über die Ernährung aussagen – könnten weiterhelfen, so die Forscher. Wobei klar sein muss, dass irgendwann auch die Naturwissenschaft mit ihrem Latein am Ende ist.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

martin.kugler@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2014)

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