"Warzenkraut und Krötenstein"

Eine sehenswerte Ausstellung in St. Pölten gibt einen Überblick über traditionelle Medizin in Europa – und zeigt, dass viele der alten Ideen auch heute noch weiterleben.

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wenn man durch die wunderbare Ausstellung im NÖ Landesmuseum wandelt: Unter dem Titel „Warzenkraut und Krötenstein“ werden Dutzende traditionelle Heilmethoden und -mittel gezeigt, von denen sich die Menschen früher Linderung ihrer Beschwerden versprachen: von Kristallen und rostigen Nägeln über das mittelalterliche „Wundermittel“ Theriak (eine Mixtur aus 300 Ingredienzien) oder „Pestessig“ bis hin zu allen möglichen Kräutern. Breiten Raum nehmen natürlich Potenzmittel ein – und auch für das Gegenteil gab es Mittelchen: „Hopfen, Baldrian und Dill machen, dass er nicht mehr will“, ist als liebevolles Stickbild in goldenem Rahmen zu lesen.

Bis ins 19. Jahrhundert hinein, bis zur Entwicklung der modernen Medizin, waren solche medizinischen Methoden allgegenwärtig. Am Ende der Ausstellung wird gezeigt, dass viele Traditionen weiterleben, und zwar in alternativmedizinischen Methoden, die etwa auf der Säftelehre (Hildegard), auf Alchemie (Spagyrik) oder auf dem Ähnlichkeitsprinzip (Homöopathie) beruhen. Zusammengefasst werden diese Verfahren heute als traditionelle europäische Medizin (TEM) – die allerdings anders als die traditionelle chinesische Medizin (TCM) kein kohärentes System, sondern ein unzusammenhängendes Sammelsurium ist.

Man mag die traditionellen Methoden aus einem naturwissenschaftlichen Blickwinkel heraus belächeln. Faktum ist, dass sie für drei Viertel der Menschheit nach wie vor die wichtigste Form der medizinischen Grundversorgung sind. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat daher eine eigene Abteilung dafür eingerichtet.

Ob alle Formen von Alternativmedizin wirken oder nicht, sei hier einmal dahingestellt. Sie sind jedenfalls nicht harmlos: Die WHO betont, dass ihre falsche Anwendung Schaden verursachen könne. Manche der traditionellen Mittel richten freilich schon bei der Herstellung Schaden an. Man denke etwa an die angebliche Heilkraft der Hörner von Steinböcken oder Nashörnern, deretwegen diese Tierarten beinah ausgerottet wurden und werden. In der Ausstellung wird auch eine Flasche Schneckensirup (gegen Lungenleiden) gezeigt, für dessen Zubereitung unzählige Schnecken sterben mussten. Und eine aktuelle Studie südafrikanischer Forscher zeigt, dass zehn Prozent der Vogelarten, die in Afrika für medizinische Zwecke gefangen wurden, selten und durch gewerbsmäßiges Fangen bedroht sind.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

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diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2015)

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