Natura 2000

Diese Woche wurde die bisher umfassendste Bewertung von Natura-2000-Gebieten veröffentlicht. Der Bericht ist alles andere als ein Erfolgsnachweis für den Naturschutz in Europa.

Natura 2000 ist das größte Netzwerk von Naturschutzgebieten der Welt: Nicht weniger als 18 Prozent der Fläche der EU sind unter diesem Titel geschützt – also entweder unter der 1979 beschlossenen Vogelschutzrichtlinie, die 193 Vogelarten beinhaltet, oder der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) aus dem Jahr 1992, die 1250 Arten und 233 Lebensraumtypen umfasst. Die Ausweisung von Schutzgebieten kommt regelmäßig einem politischen Kraftakt gleich – man erinnere sich nur an die heftigen Debatten im Herbst des Vorjahrs über die Unterschutzstellung der Isel (in Osttirol).

Umso schlimmer ist: Das Natura-2000-Netz erfüllt seinen Zweck höchstens in Ansätzen, wie aus dem Bericht über den „Zustand der Natur in der EU“ hervorgeht, der diese Woche von der Europäischen Umweltagentur veröffentlicht wurde. Dieser liefert das bisher umfassendste Bild über Europas Naturraum – und dieses ist erschütternd: Demnach weisen nur 16 Prozent der Lebensräume einen günstigen Zustand auf, nur bei 23 Prozent aller untersuchten Arten wird der Erhaltungszustand als günstig eingestuft. Lediglich bei Vögeln sind die Zahlen etwas besser: Hier ist der Bestand von immerhin 52 Prozent der Arten gesichert. Noch nachdenklicher stimmt die Beobachtung, dass sich der Zustand in jüngster Zeit praktisch nicht verbessert. Es konnte nur eine Wirkung von Natura 2000 nachgewiesen werden: In den Schutzgebieten verschlechterte sich der Zustand weniger rasant als in nicht geschützten Bereichen (www.eea.europa.eu).

Kurz zusammengefasst: Von den in der europäischen Biodiversitätsstrategie festgelegten Zielen ist man meilenweit entfernt. Wenn der zuständige EU-Kommissar, Karmenu Vella, nun in einer Aussendung meint, dass „Bemühungen zur Verbesserung empfindlicher Ökosysteme sehr wirksam sein können“, dann ist das – vorsichtig formuliert – ein Euphemismus. Vielleicht hat er mit seiner Interpretation recht, dass Fortschritte erst langfristig sichtbar werden. Faktum ist aber, dass Natura 2000 bisher nicht gut funktioniert hat.

Nun steht ein „Fitness-Check“ dieses Regelwerks an. Umweltschutzgruppen befürchten, dass dabei Eingriffe in die Schutzgebiete wieder leichter möglich gemacht werden könnten – um das zu verhindern, haben sie eine europaweite Kampagne gestartet. Diese Sorge ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Denn in Zeiten, in denen die Ankurbelung der Wirtschaft das wichtigste Ziel der Politik ist, hat Naturschutz definitiv keine Priorität.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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