Unheimliche Insekten

Obwohl heute sogar Insektenhotels für sie aufgestellt werden, sind Insekten vielen Menschen nicht ganz geheuer. Diese Ansicht hat eine lange Tradition.

Wenn es nach so mancher bunter Zeitung geht, dann stehen wir vor einer gefährlichen Invasion: Dieser Tage wurde auf der Titelseite „Wespen-Alarm“ ausgerufen, vor einigen Wochen war von „Killer-Gelsen“ zu lesen. Insekten sind also, zumindest in diesem Medium, nicht gut angeschrieben. Die p. t. Redakteure (und wohl auch viele Leser) stehen mit dieser Ansicht freilich nicht allein da – sie reihen sich in eine lange Tradition ein.

Mit ganz wenigen Ausnahmen – Bienen, Schmetterlinge und Ameisen – wurden Insekten immer schon negative Eigenschaften zugesprochen. So waren Heuschrecken etwa eine der sieben biblischen Plagen, der Weltvernichter Beelzebub galt als König der Fliegen (und Mäuse), Hieronymus Boschs apokalyptische Gemälde sind von allerlei bizarren Sechsbeinern bevölkert und Fliegen kommen in vielen Vanitas-Darstellungen vor, als Zeichen der Vergänglichkeit.

Was dem Menschen an Insekten Angst macht, ist offenbar eine Mischung vieler Faktoren: die immense Vielfalt (mehr als eine Million Arten sind derzeit beschrieben), ihre rapide Vermehrung, die unglaubliche Zahl an Individuen (auf jeden Menschen entfällt zumindest eine Milliarde Insekten!), auch ihre Unkontrollierbarkeit. Und was wahrscheinlich der wichtigste Faktor ist: Mit Insekten können wir uns nur schwer identifizieren – unser Blick wird von ihnen nicht erwidert, die dem Menschen angeborene „Biophilie“ wirkt bei diesen so fremdartigen Geschöpfen nicht.

Viele Jahrhunderte war auch die Lebensweise der Insekten voller Rätsel. Obwohl schon antike Gelehrte etwas über die Metamorphose der Insekten wussten, vermutete man bis ins 17. Jahrhundert hinein, dass sie durch „Urzeugung“ aus Schlamm oder toten Tieren entstehen. Am schlechten Ruf der Insekten haben aber auch die vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse nichts verändert. Man denke etwa an Franz Kafkas schauerhafte Erzählung „Die Verwandlung“ oder an den Horrorfilm „The Fly“.

Erst in jüngster Zeit kam es zu einer Akzentverschiebung: Durch den Aufstieg der Ökologie zum neuen Leitparadigma werden Insekten nun als wichtiger Teil des Ökosystems gesehen, als Teil der Nahrungskette, vielfach auch als Nützlinge. Bester Beweis dafür ist, dass viele Zeitgenossen Insektenhotels einrichten – auf diese Idee wäre vor 20 Jahren kaum jemand gekommen.

Die alten Ängste sind aber bei Weitem noch nicht tot. Siehe oben.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

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diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2015)

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