Was passiert, wenn ein Stein mitten durch die Erde fällt?

Erde
Erde(c) Bilderbox (Erwin Wodicka)
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Die Physik beschreibt, wie sich ein Körper im freien Fall verhält. Zum Test einen Tunnel durch die Erde zu graben bleibt aber unrealistisch.

In Lewis Carrolls Fantasiegeschichte „Alice im Wunderland“ stürzt das Mädchen zu Beginn in ein Kaninchenloch, fliegt durch einen Tunnel durch die Erde und landet schließlich in der bunten Welt des Wunderlands. Doch was würde passieren, wenn man tatsächlich eine Röhre in die Erde gräbt und einen Stein hineinfallen lässt, fragt ein Leser. Schießt er auf der anderen Seite des Tunnels wieder heraus? Pendelt er sich in der Erdmitte ein und schwebt in der Luft?

„Das hängt ganz von den Bedingungen ab“, sagt Matthias Liertzer vom Institut für Theoretische Physik. Er hat sich für die „Presse“ auf dieses Gedankenspiel eingelassen, das an der TU Wien auch Studienanfänger beschäftigt. Die einfachste Betrachtung ergibt sich, wenn man die Reibung vernachlässigt, also etwa von einem luftleeren Raum ausgeht. „Lässt man dann einen Stein hineinfallen, würde dieser durchfallen und nach ungefähr 42 Minuten wieder am anderen Ende herauskommen“, sagt der Forscher.

12.750 Kilometer und retour

Dabei verhalte sich der Stein ähnlich wie ein Pendel: Er startet aus dem Stillstand. Dann beschleunigt er durch die Schwerkraft Richtung Erdmittelpunkt, wo er die höchste Geschwindigkeit erreicht. Zugleich wirkt dort aber – ähnlich wie bei einem Pendel, das den Scheitelpunkt erreicht – keine Kraft mehr auf ihn: Die den Stein umgebende Erdmasse ist dann in alle Richtungen gleich verteilt. Durch den Geschwindigkeitsüberschuss, den er mitbringt, bewegt er sich aber weiter bis zur Erdoberfläche. Wird er dort nicht gefangen, wiederholt sich der Vorgang in die andere Richtung. Insgesamt würde der Stein so pro Strecke rund 12.750 Kilometer zurücklegen, das ist der Durchmesser der Erde.

Das funktioniert aber eben nur im Vakuum, wenn keine Reibungskräfte wirken. Denn diese würden den freien Fall des Steins bremsen. Auch ein Fallschirmspringer erreicht daher selbst bei perfekter Körperhaltung „nur“ eine Maximalgeschwindigkeit von ungefähr 200 Kilometern pro Stunde. Ein Stein würde also zunächst schneller werden, bis die Bremskraft der Reibung die Gravitationskraft ausgleicht. „Zwar würde er dennoch über den Erdmittelpunkt hinausschießen, aber nicht mehr die gegenüberliegende Erdoberfläche erreichen können. Und letztlich würde er sich beim Erdmittelpunkt einpendeln“, sagt Liertzer.

In der Wirklichkeit lässt sich das Gedankenexperiment aber nicht überprüfen. Denn etwa einen Tunnel von Europa nach Australien zu graben sei sehr unrealistisch, so der Forscher: Derzeit sind Tiefbohrungen lediglich bis in eine Tiefe von ungefähr zwölf Kilometern möglich. Dort können bereits Temperaturen von mehreren hundert Grad herrschen.

Einschalten durch Ausschalten

Das wissenschaftliche Wunderland des Forschers ist aber eigentlich ein ganz anderes. Liertzer befasst sich mit der theoretischen Beschreibung von Mikrolasern: Lasern mit einem Aufbau in der Größenordnung weniger Mikrometer. Gemeinsam mit Wissenschaftlern in den USA und in Japan wies er etwa einen paradoxen Effekt nach: In bestimmten Situationen kann man einen Laser einschalten, indem man ihm nicht mehr Energie zuführt, sondern ihm stattdessen Energie entzieht. Noch ist das Grundlagenforschung. Die Erkenntnisse könnten aber die Basis für technologische Anwendungen der Zukunft bilden. [ Foto: TU Wien ]

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2016)

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