Physik: Nobelpreis für ein Teilchen namens Higgs

„Manchmal ist es nett, recht zu haben“: Peter Higgs, Patron eines Mechanismus, eines Feldes und eines Teilchens, unterstützte die Anti-Atomwaffen-Bewegung – bis sich diese auch gegen zivile Nutzung von Atomkraft aussprach.
„Manchmal ist es nett, recht zu haben“: Peter Higgs, Patron eines Mechanismus, eines Feldes und eines Teilchens, unterstützte die Anti-Atomwaffen-Bewegung – bis sich diese auch gegen zivile Nutzung von Atomkraft aussprach.(c) REUTERS (DAVID MOIR)
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Den Nobelpreis teilen sich heuer der Belgier François Englert und der Brite Peter Higgs. Sie konnten erklären, warum manche Elementarteilchen eine Masse haben. Das zugehörige Teilchen, das Higgs-Boson, wurde 2012 nachgewiesen.

Nun darf sich der britische Physiker Peter Higgs also Nobelpreisträger nennen. Eine exklusivere Ehre trägt er seit fast 50 Jahren: Nach ihm ist ein Elementarteilchen benannt. Und zwar eines, dessen Existenz lange fraglich war – und bis heute nicht völlig sicher ist: das Higgs-Boson. Es ist geradezu absurd kurzlebig (mittlere Lebensdauer: 10–22 Sekunden), aber es ist für die Physiker von immenser Bedeutung: Sie brauchen es, um zu erklären, warum andere Elementarteilchen überhaupt eine Masse haben.

Ist das nicht selbstverständlich? Durchaus nicht. Vor allem nicht für jene Teilchen, mit denen die Physik eine Wechselwirkung, also eine Kraft beschreibt. Man nennt diese Teilchen Bosonen, sie übertragen die jeweilige Kraft, treffender sagt man wohl: Sie verkörpern sie.

Vier grundlegende Kräfte

Das Lichtteilchen Photon etwa hat keine Masse, darum hält es auch den absoluten Geschwindigkeitsrekord. Es verkörpert eine der vier grundlegenden Kräfte: den Elektromagnetismus. Auch die Teilchen, die die starke Kernkraft verkörpern, die Gluonen, haben keine Masse. Die Gravitonen der Schwerkraft – wenn es sie überhaupt gibt – ebenfalls nicht. Auch die am wenigsten populäre Grundkraft, die schwache Kernkraft, wird durch Teilchen übertragen, die drei sogenannten Vektorbosonen. Diese haben aber eine Masse! Das sagten die Theoretiker lange voraus, bevor diese Teilchen 1983 in Teilchenbeschleunigern nachgewiesen wurden.

Zu den größten Erfolgen der theoretischen Physik zählt die Beschreibung der elektromagnetischen Kraft und der schwachen Kernkraft durch eine Theorie, die „elektroschwache“ Theorie, formuliert 1967. Für diese Theorie war ein Rätsel zu klären: Wieso hat das Photon keine Masse, aber die drei Vektorbosonen schon? Was bricht die Symmetrie zwischen diesen vier Bosonen so eklatant? Genau diese Frage beantwortete der 1964 von Peter Higgs und Kollegen – darunter François Englert, der nun mit ihm den Nobelpreis teilt – formulierte Higgs-Mechanismus. Dieser sagt im Grunde eines: Masse – diesfalls der Vektorbosonen – entsteht durch Wechselwirkung mit einem Feld, das überall im Universum gegenwärtig ist, dem Higgs-Feld.

Gut. Mag sein. Aber wie und wieso kommt man von diesem Feld auf ein (gleichnamiges) Elementarteilchen? Weil in der modernen Physik – genauer: in der Quantenfeldtheorie – jedes Feld durch Quanten beschrieben werden kann. Also durch Teilchen. Womit wir endlich beim Higgs-Boson wären, dem wohl am verzweifeltsten gesuchten Teilchen der Geschichte.

Es wurde so verzweifelt gesucht, dass ein anderer Physiknobelpreisträger, Leon Lederman, ein Buch zum Thema „The Goddam Particle“ nennen wollte. Doch der Verlag wollte das nicht – und setzte sich durch: Das Buch erschien als „The God Particle“. Der Untertitel war subtiler („If the Universe Is the Answer, What Is the Question?“), aber das Wort hielt sich: Bis heute sprechen manche vom Higgs-Boson als „Gottesteilchen“, und viele sagen, dass dieses Teilchen – beziehungsweise das dazugehörige Feld – aller Materie ihre Masse verleihe.

Das stimmt nicht. Zwar kann man in einer Weiterentwicklung des Higgs-Mechanismus auch erklären, wieso die Elektronen und die Quarks (Bestandteile u. a. der Protonen und Neutronen) eine Masse haben. Doch der größte Teil der Masse der Protonen und Neutronen ist nicht die Summe der Massen der Quarks, aus denen sie bestehen, sondern pure Energie: die Energie, die die Quarks zusammenhält. Masse und Energie sind ja, wie uns Einstein gelehrt hat, ineinander verwandelbar.
Dazu kommt, dass das Higgs-Boson selbst eine Masse hat. Ob man diese (nur) durch Wechselwirkung mit dem eigenen Feld (also quasi mit sich selbst) erklären kann, ist durchaus nicht sicher.

Jedenfalls hat das Higgs-Boson eine für ein Elementarteilchen beträchtliche Masse, es ist circa 133 Mal so schwer wie ein Proton. Das ist einer der Gründe dafür, warum die Suche so lange gedauert hat. Ein anderer ist die verdammt kurze Lebensdauer: Man kann es nur durch die Teilchen identifizieren, in die es sehr schnell zerfällt.

Juli 2012: Jubel am CERN

So war die Suche nach dem Higgs-Boson das wichtigste Motiv für den Bau des „Large Hadron Collider“ am CERN bei Genf, der seit 2008 in Betrieb ist. Am 4. Juli 2012 wurde dort gefeiert – und verkündet, man habe aus den Bergen von Daten die Existenz eines Teilchens geschlossen, dessen Masse im „richtigen“ Bereich liegt und das die Eigenschaften hat, die es dazu qualifizieren, dass es das Higgs-Boson sein könnte. Vieles ist freilich noch offen – etwa, ob es nicht doch mehrere Higgs-Bosonen gibt, die Theoretiker halten das für möglich. Dem alten Higgs gönnt freilich jeder seinen Triumph, den er mit britischem Understatement formulierte: „Manchmal ist es recht nett, recht zu haben.“

Der zweite Preisträger

François Englert erhält den Preis gemeinsam mit Peter Higgs. Der 1932 geborene Belgier promovierte 1959 an der Université Libres de Bruxelles, dieser Universität blieb er treu. 1964 entwickelten er und (der verstorbene) Robert Brout unabhängig von dem 1929 in Newcastle geborenen und in London forschenden Peter Higgs die gleiche Theorie. Das taten auch noch andere.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2013)

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Kommentare

Wer glaubt denn an ein Gottesteilchen?

„Erstens bin ich Atheist. Zweitens ist mir bewusst, dass der Name als Witz gemeint war – und zwar kein besonders guter, wie ich finde.“

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