Medizin-Nobelpreis: Den Takt des Lebens erhellt

Die drei Nobelpreisträger.
Die drei Nobelpreisträger.(c) AFP
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Die Ehrung für Physiologie oder Medizin geht an drei US-Forscher, die seit den 80er-Jahren den molekularen Feinheiten der Inneren Uhren nachgegangen sind.

Die Mimose „reagiert auf die Sonne und den Tag: Blätter und Stiele schließen sich gegen Sonnenuntergang. Herr de Mairan hat nun beobachtet“– indem er Mimosen in dauernder Dunkelheit hielt –, „dass für dieses Phänomen Sonne und Luft gar nicht nötig sind. Die Mimose nimmt also den Einfluss der Sonne wahr, ohne ihr direkt ausgesetzt zu sein. Herr de Mairan lädt die Physiker und Botaniker ein, diese Beobachtung weiter zu verfolgen.“

Mit der Beobachtung hätte sich der Physiker einen Nobelpreis verdient – den für Medizin –, sie eröffnete ein völlig neues Feld, das der Chronobiologie, der Kunde von den Inneren Uhren. Aber er kam mit seinem Experiment viel zu früh, 1729, da war Nobel noch lange nicht geboren. Und bis die Einladung des Herrn de Mairan angenommen wurde, dauerte es noch länger: 1964 zogen Freiwillige für ein paar Wochen in einen Stollen in den bayrischen Bergen, sie hatten allen Komfort, auch elektrisches Licht, waren aber abgeschnitten von der Außenwelt und ihren Zeitgebern, hatten keine Uhren, keine Radios, keine frischen Semmeln.

So mussten sie sich ihren eigenen Takt schlagen, sie organisierten ihren Tag in ungefähr 24 Stunden – etwas länger –, da stand fest, dass nicht nur Mimosen, sondern auch Menschen eine dafür zuständige „circadian clock“ haben. Aber wie funktioniert die? Drei US-Forscher, die es auf molekularer Ebene seit den 70er Jahren erkundeten, werden heuer mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geehrt: Seit den 70er Jahren war man bei Fruchtfliegen hinter einem Gen her – period –, man wusste ungefähr, wo es saß, aber Genetik war zu der Zeit mühsam, erst 1984 konnten Jeffrey Hall und Michael Rosbash (Brandeis University, Boston) und Michael Young (Rockefeller University, New York) das Gen isolieren, bald folgte auch das von ihm kodierte – in Auftrag gegebene – Protein PER.

Nun musste man nur noch klären, wie die beiden es schaffen, den Tag in seinen ungefähr 24 Stunden zu takten. Es gab viele Hypothesen, am Ende zeigte sich, dass die Natur so einfach wie raffiniert arbeitet, in einem negativen feedback: Wenn period soviel PER hat produzieren lassen, dass das einen Schwellenwert überschreitet, fährt das Protein PER die Aktivität des Gens period herab.

Die innere Uhr.
Die innere Uhr.(c) Die Presse, Grafik

Feedback von Protein und Gen

Dieser Oszillator ist der zentrale, vor allem für seine Entdeckung gab es den Preis. Aber natürlich waren noch Details genug zu klären: Bald zeigte sich, dass es weitere Gene gibt, timeless vor allem, erst sein Protein sorgt dafür, dass PER period deaktivieren kann; dann fanden sich viele Feinsteuerungen, die das im Grunde rasche Geschehen so verzögern, dass es sich über den ganzen Tag hin zieht; dann bemerkten die drei auch, dass wir nicht nur eine zentrale Uhr haben – die im Gehirn –, sondern dass jedes Gewebe und Organ von eigenen Uhren in Schwung gehalten wird. Und dass die nicht nur jeden Morgen durch das erste Licht des Tages in Einklang mit dem großen Rhythmus gebracht werden, in dem die Erde sich dreht. Auch andere inputs stellen die Uhren, die der Nahrung etwa die im Darm.

Das gliedert nicht nur in Tag und Nacht, es schlägt auch allen Geweben und Organen ihre Stunden, es lässt Gene aktiv werden, es stellt sie still. Damit ist es zentral für etwas, was in der Begründung des Nobel-Komitees reichlich kurz ausfällt, die Bedeutung der Entdeckungen „für unsere Gesundheit und Wohlbefinden“.

Die kann man gar nicht hoch genug einschätzen: In den 60er-Jahren bemerkte der heute vergessene gebürtige Österreicher Franz Halberg in den USA – wo er den Begriff „Chronobiologie“ prägte und so berühmt war, dass man ihn „Father Time“ nannte –, dass die Wirkung von Medikamenten auch an der Tageszeit hängt, zu der sie verabreicht werden. Später kam der Verdacht, dass Schichtarbeit, die den Körper ungewohntem Licht/Dunkel aussetzt, Herzleiden bringen kann und Krebs.

Licht zur Unzeit verwirrt Uhren

Vielleicht kommt auch das verbreitetste Leiden unserer Zeit, die „Epidemie der Verfettung“ (Weltgesundheitsorganisation WHO), daher, dass die Inneren Uhren durcheinander gerieten: Es lief parallel mit der Verkürzung des Nachtschlafs bzw. der zunehmenden Lichtverschmutzung: Ganz alleine gehen die Uhren eben nicht, sie brauchen die Abgleichung an äußeren Signalen, und für die am natürlichen Licht hat die Evolution über Jahrmilliarden gesorgt.

("Die Presse", Printausgabe, 03.10.2017)

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