"Ich bin von der Zeit getrieben", sagt Nicholas Ofczarek und legt deshalb Pausen ein, um "einfach nur in die Welt zu schauen". Ein Gespräch über Angst, Scham und Glücksmomente.
Sie sind ein sehr vielseitiger Künstler, den man auf der Bühne, im Fernsehen und im Kino sehen kann. Wie bekommen Sie das alles zeitlich auf die Reihe?
Nicholas Ofczarek: Ich bin von der Zeit getrieben, so wie wir das alle sind. Auch bei mir hat sich in den vergangenen Jahren alles beschleunigt. Das Angebot dessen, was ich tun könnte, wird immer größer, und die Entscheidungen sollen immer schneller fallen. Aber aus diesem Druck muss man sich herausbegeben.
»Wie setzen Sie Prioritäten?«
Wie setzen Sie Prioritäten? Sie wollen Ihre Projekte ja auch nicht bloß absolvieren.
In die Falle, eines nach dem anderen zu absolvieren, bin ich auch getappt. Ich bin auch nur ein Mensch. Mein Credo war und ist, im Berufsleben eine möglichst große Vielfalt zu leben. Da kann es schon passieren, dass zu viel Vielfalt dazu führt, dass einem letztlich auch alles zu viel wird. Aber aus Fehlern lernt man. Ich versuche, mir nun immer Zeit dazwischen einzubauen. Ich brauche sie, um in die Welt und in mich hineinzuschauen. Aber es ist schwierig, denn wenn es einem gut geht und man vor Kraft strotzt, denkt man sich: Das schaffst du auch noch. Man betrügt sich leicht selbst, dabei weiß ja niemand, wie man sich in einem Jahr fühlt.
Zwischen so vielen Angeboten und Möglichkeiten wählen zu können, danach sehnen sich viele Künstler.
Ja, natürlich spreche ich von einem Luxusproblem. Aber auch das kann zu der Sehnsucht führen, endlich einmal gar nichts zu machen. Nicht einmal aus einer Depression heraus, sondern, weil es wichtig ist, Pausen zu machen. Dadurch werden die Dinge, die man tut, wieder wertvoller.
Wann haben Sie das letzte Mal eine längere Pause gemacht?
Ich bin das letzte halbe Jahr leisergetreten, das heißt, ich habe keine Filme gedreht und keine Proben gehabt. Diese Zeit hat mir sehr gut getan. Letztendlich habe ich dann an etwas ganz anderem gearbeitet.
Woran haben Sie denn gearbeitet?
Ich habe ein Drehbuch mitverfasst, ohne dafür einen Auftrag zu haben. Das ist alles mit großer Leichtigkeit und großer Freiheit geschehen.
Jetzt befinden Sie sich mitten in den Proben für das Stück „Die Affäre Rue de Lourcine“ von Eugène Labiche. Kämpfen Sie in solchen Phasen sehr mit dem Gefühl der Angst?
Ja. Immer bei Proben, nicht beim Spielen. Proben fallen mir nie leicht, ich leide viel, aber die Selbstzweifel haben nicht mehr so eine Vehemenz wie früher einmal. Meine Erfahrung hilft mir. Im besten Fall gehe ich auch ein wenig liebevoller mit mir um. Ich sage mir nicht mehr: „Ich stehe an, ich sterbe!“, sondern: „Ich stehe wieder an, das haben wir doch schon einmal gehabt.“ Ich mag das Gefühl zwar immer noch nicht, aber ich nehme es an und versuche, Strategien zu entwickeln, damit umzugehen.
Woher kommt denn die Angst?
Ja, was ist es?
(Pause)
Sehr oft Scham. Dabei habe ich keine Angst, mich in Dinge vorzuwagen. Ich wage mich vor und schäme mich dann, wenn es halt so richtig schiefgeht.
Gehört das Schiefgehen nicht zum Probenprozess dazu?
Ja, natürlich. Beim Proben ist alles erlaubt, aber ich will ja auch beim Proben gut sein. Und ich geh eben sehr oft ratlos nach Hause, weil vieles nicht funktioniert oder nicht klar ist.
Haben Sie schon zu Beginn ein konkretes Bild von der Figur, die Sie spielen, vor Augen?
Gar nicht. Ich habe mich mit dem Stück auseinandergesetzt und einen bestimmten Grundinstinkt.
Wenn Sie Glück haben, hat der Regisseur schon konkretere Vorstellungen.
Das ist dann schon ein Riesenglück. Aber oft ergibt sich die Struktur erst im Lauf der Zeit. Es ist ja schon lang nicht mehr so, dass der Regisseur sagt: „Komm von rechts, geh nach links, trink das Glas Wasser und geh ab.“
Würde Sie das stören?
Nein gar nicht, im Gegenteil. Wir leben ohnehin in so einer haltlosen Zeit. Ich sehne mich beim Proben nach Strukturen. Ich brauche sie, um sie dann loslassen zu können. Wenn es gar nichts gibt, was ich loslassen kann, ist es hart. Aber es ist jedes Mal anders, denn man hat – neben den eigenen – immer auch noch mit den Befindlichkeiten, der Biografie und den Nöten der anderen zu tun. Und jeder kodiert seine Ängste anders! Bei mir bemerken die anderen meine Angst vielleicht gar nicht, dabei bin ich ein sehr angstbesetzter Mensch.
Sie sprechen Ihre Ängste aber aus.
Weil mir das hilft. Sie lähmen mich dann nicht mehr so sehr.
Als Zuseher ahnt man gar nicht, was die Künstler in den Wochen vor der Premiere an Emotionen durchleben.
Auch ich habe zuvor nur eine leise Ahnung davon. Proben sind so ein wabernder Prozess. Wir proben jetzt die fünfte Woche, und die Phasen der Empörung, der Verlorenheit, der Erkenntnis, sie alle habe ich schon hinter mir. Proben heißt so viel mehr, als nur ein Stück auf die Bühne zu bringen. Sie sind eine geballte Verabredung mit Menschen für eine bestimmte Zeit, in der man dauernd an seine Grenzen stößt und gemeinsam viele extreme Situationen durchmacht.
Und wofür machen Sie das alles?
Vor zwei Tagen hatte ich eine Probe, die anders verlaufen ist, als ich das erwartet habe. Auf einmal ist sie geflogen. Ich war überrascht über mich und über die anderen. Das war ein Moment höchster Glückseligkeit. Dafür mach ich das. Ob ich mich dieser Extremsituation allerdings bis zur Pension aussetzen will, das weiß ich nicht.
Geht es nach Friedrich Nietzsche, sollte man am Ende seiner Tage nicht „Es war“ sagen müssen, sondern „Aber so wollt ich es!“ sagen können. Leben Sie Ihr Leben in diesem Sinn?
Ja! So wollt ich's. Genau. Das tu ich.