Von der Brandstatt

Look on the flames inside a stove
Look on the flames inside a stove(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
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Brandstätter, Brandstädter, Brandstifter, Brandy. Von Lärm, Last und Lust, sich einen Namen
zu machen. Erster Versuch einer Selberlebensbeschreibung.

"Lust aufs Land“ heißt ein Lesebuch im Deutschen Taschenbuch Verlag, München 2015. Auf dem rückwärtigen Umschlag wird mit folgendem Text geworben: „Der Stadt den Rücken kehren, hinaus aufs Land, in die Natur – für eine kleine Weile oder gar für immer! Von diesem Wunsch erzählen 25 namhafte Autoren, wie Eva Demski, Robert Gernhardt, Hermann Hesse, Siegfried Lenz und Herbert Rosendorfer, in heiter skurrilen und berührenden Geschichten. Wer Lust aufs Land hat, wird dieses Buch mit großem Vergnügen lesen.“ Und noch ein Zitat aus dem Nachwort zum Verhältnis Stadt–Land: „Man hat sich an die Städter gewöhnt. Die gegenseitigen Vorurteile sind einer gewissen Neugier aufeinander gewichen. Obwohl es natürlich noch die Eingefleischten gibt, die wie Alois Brandstädter der Meinung sind, dass die Städter vom Land keine Ahnung haben. Er hat damit vielleicht sogar recht.“
Hinter meinen Namen müsste ich in diesem schwerwiegenden Fall eigentlich ein dickes sic! setzen. Als Brandstätter wurde und werde ich oft verschrieben, daran habe ich mich fast schon gewöhnt. Als Brandstädter wie im zitierten Nachwort bin ich bisher meiner Erinnerung nach erst einmal verschrieben worden, bezeichnenderweise von Thomas Bernhard in einer Widmung in „Amras“ nach einer Lesung in Saarbrücken im Jahr 1968. Das Entstellen von Namen scheint in seinem Fall ein wenig Methode gewesen zu sein, der „Übertreibungskünstler“ hat bekanntlich den Namen seines besten Freundes Karl Ignaz Hennetmair auf gleich mehrere Arten „transkribiert“. Den vielen Maier, Meier, Mayer, Mair et cetera können es freilich auch Gutwilligere selten orthografisch recht machen. Dass ich gerade im Nachwort eines Lesebuchs über die „Lust aufs Land“ neben den Idyllikern als Kritiker und Städter-Beschimpfer vertreten bin und als Brandstädter „bezeichnet“ werde, könnte nach einer veritablen Bosheit, eines Bernhard würdig, aussehen. Ist es aber sicher nicht, dafür bin ich nicht prominent genug, bin ja auf dem Umschlag unter den „namhaften Autoren“ gar nicht genannt. Das Wort namhaft bedeutet ursprünglich im Kern allerdings nur „einen Namen habend“. Namhaft ist jeder, der einen Identitätsausweis oder Pass hat, nicht nur jene wenigen, die Prominenten, also die „Herausragenden“, die sich „einen Namen gemacht haben“.
Eigentlich ist der „Wutbürger“, der in meinem Buch „Zu Lasten der Briefträger“ über die Städter als Land-Ignoranten herzieht, ja eine erfundene Romanfigur, die freilich manches sagt, was ich als Schriftsteller in der Provinz unterschreiben könnte. „Rollenprosa“ nennt es die Literaturwissenschaft. Vorsicht beim Interpretieren, denn da werden alle Schlüsse von einer Figur auf den Autor leicht zu Kurzschlüssen! Als Landflüchtiger, der nur die ersten 18 Jahre, Kindheit und Jugend, auf dem Land in Oberösterreich gelebt hat und dann immer in Städten, wäre ich als Stadtkritiker mit antiurbanem Affekt nicht sehr überzeugend oder „authentisch“, wie man heute gerne sagt. Als Brandstifter hat mich tatsächlich einmal ein Saarbrücker Kollege einem Gast aus der Tschechoslowakei vorgestellt, es ist ihm offenbar der Spitzname, den ich an seinem Institut hatte, herausgerutscht, was ihm furchtbar peinlich war: Alois Brandstifter. Der Brandstetter als Brandstifter? Der „Kosename“ Brandy, den mein Lehrer Hans Eggers benützte und den ich mir gern gefallen ließ, könnte freilich leicht als Anspielung auf einen Alkoholiker missverstanden werden. Ich habe Brandy immer weniger als Spitznamen oder Necknamen, sondern wie gesagt als Kosenamen empfunden. Ich habe den Durst aber immer nur mit Bier gelöscht. Wenn nicht überhaupt, wie der Semiotiker Max Bense „artikuliert“: „die Zerstörung des Durstes mit Wasser“. Der Durst als brennendes Feuer? Weinbrand, das „Feuerwasser“, war mir immer zu gefährlich und Wein überhaupt fremd. – Das Fulminante ist offenbar irgendwie mein Schicksal, obwohl das Feurige in meinem Falle, im Falle eines Biertrinkers, auch eine Irreführung und eine Tarnung sein könnte. Auch Bier führt nicht immer zur „Bierruhe“. „Die Kunst des Schlafes“ heißt ein Bildband, den mir meine Söhne zu den letzten Weihnachten geschenkt haben. Wer schläft, sündigt nicht, sage ich. Wer vorher sündigt, schläft besser, sagt der protestantische Sohn. Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf, zitiere ich Psalm 127.
Brandstätter oder Brandstetter wird von den Namenkundlern als Wohnstattname eines auf einer Brandrodung siedelnden Bauern beschrieben. Der Vulgarname des Elternhauses meines Vaters in der Ortschaft Holzhäuseln, Gemeinde Tumeltsham, heißt Asingbauer. Asing von absengen ist ein Synonym von Brand, der Asingbauer (Osanger) ist also ein doppelter Brandstetter, und der Ortsname Holzhäuseln für einen Weiler am Rande der Gemeinde Tumeltsham bei Ried im Innkreis nach Peterskirchen hin klingt ja wohl überhaupt „brandgefährlich“, wo sich doch Holz so leicht entzündet, in Steinhaus oder Eisenstadt fühlt man sich wohl sicherer und wohler.
Es gibt in Deutschland und in Österreich einige Ortschaften mit dem Namen Brandstatt. Auch in meiner Herkunftsgemeinde Pichl bei Wels heißt ein Weiler Brandstatt. Ich stamme aber nicht aus diesem Brandstatt, bin somit kein Brandstatter. Die Hausnummer 1 der Ortschaft Brandstatt am äußersten Rand des Gemeindegebietes von Pichl nach Grieskirchen und Bad Schallerbrach hin ist ein Anwesen, das „Urlaub am Bauernhof“ anbietet. Die Ortschaft Brandstatt hat nur zwei Hausnummern, das erwähnte Anwesen in Brandstatt 1 und ein zweites, Brandstatt 2. Die beiden Bauernhäuser heißen mit Vulgonamen „Oberbrandstätter“ und „Unterbrandstätter“ (ausgesprochen als Brandstet(t)na, transkribiert oder lemmatisiert also eigentlich Brandstättner).
Die Familiennamen der Besitzer der Höfe wechseln natürlich ständig, die Vulgarnamen aber sind über Jahrhunderte gleichlautend. Wird ein Bauernhof zum Erbhof ernannt, dann ist es vor allem der Vulgarname, der die Ehrwürdigkeit beredt zum Ausdruck bringt. Der Weiler Brandstatt hat nur zwei Häuser, er wird aber übertroffen oder unterboten von der Ortschaft Pühret, die überhaupt nur aus einem Haus, dem Gehöft Pühringer, besteht. Ich stamme aus einem Dorf mit vier Häusern. Das nenne ich kleinräumig.
Ein sprechender, sozusagen vielsagender Vulgoname ist beispielsweise der auch als Familienname vorkommende Name Himmelbauer. Natürlich war der Himmelbauer ursprünglich ein Bergbauer. Der Teufelberger siedelte in einer finsteren Schlucht; dass der Familienname Teufel wirklich ein „Übername auf List, Falschheit usw. des Teufels bezogen“ sei, wie Maria Hornung in ihrem „Lexikon österreichischer Familiennamen“ schreibt, verwundert eher, wenn man so viele liebe Menschen dieses Namens kennt. Unser langjähriger Gemeindearzt hieß Dr. Johannes Teufel. Thomas Bernhard hat mir nach seiner spektakulären, von Studenten gestörten Lesung im Orpheus-Foyer des Salzburger Festspielhauses im Jahr 1972 auf dem Weg ins Café Tomaselli gesagt, dass er Pichl bei Wels gut kenne, weil er dort oft Freunde von ihm, den Doktor Teufel und dessen Frau Agi, eine geborene Agnes von Handel, besuche. Es gab natürlich auch Bischöfe, die Teufel geheißen haben und keineswegs Teufel gewesen sind, wie es andererseits wirklich diabolische Menschen gegeben hat, die Engel geheißen haben und Bengel gewesen sind. In die Namen ist sicher immer Geschichte eingegangen, doch ganz naiv ist auf sie heute kein Verlass mehr.
Das bekannteste Brandstatt aber ist gewiss jenes im Gemeindegebiet von Pupping an der Donau mit einer Schiffsanlegestelle. Sollte es dort in einem früheren Jahrhundert einmal gebrannt haben, was der Ortsname ja nahelegt, hat die Feuerwehr an der vorüberfließenden Donau nicht mit Wassermangel zu kämpfen gehabt. Dort brauchte es sicher nicht wie in der Ortschaft Brandstatt auf dem Dingberg einen Löschteich. Die Einheimischen, nebenbei bemerkt, sagen immer „in der Brandstatt“ und nicht „in Brandstatt“. Und eine Stadt ist diese Stätte zwischen Eferding und Hartkirchen natürlich nicht.
Die Oberösterreicher haben übrigens den frühchristlichen heiligen Märtyrer Florian, den Nothelfer und Schutzheiligen bei Feuersbrünsten, zu ihrem Landespatron gewählt und sich vom Niederösterreicher Leopold losgesagt. Im Jahr 994 ist der heilige Bischof Wolfgang von Regensburg auf einer Visitationsreise in die Besitzungen im Osten krankheitsbedingt „in der Brandstatt“ angelandet und in der Kapelle von Pupping, sozusagen coram publico, gestorben, weil er den Menschen ausdrücklich erlaubte, an sein Sterbelager am Altar zu treten. Er hat wirklich „das Zeitliche gesegnet“. Die Menschen sollten sehen, wie der Christ stirbt, und sich ein Beispiel für ihr eigenes Hinscheiden nehmen. Auch für die „Ars moriendi“, die „Kunst des Sterbens“, galt „Exemplum docet“, Beispiele sind lehrreich.
Leider durfte Pupping den Verstorbenen nicht behalten und an Ort und Stelle bestatten. Die Regensburger haben ihren Bischof auf dem Karren nach Brandstatt und von dort mit Schiff und Treidel die Donau aufwärts nach Regensburg zurückgebracht und in St. Emmeram beigesetzt. 1052 wurde er bereits durch Papst Leo IX. „zur Ehre der Altäre erhoben“. Hätte Wolfgang, was so viel bedeutet wie „der dem Wolf entgegengeht“, in Pupping seine Grablege gefunden, so wäre Pupping heute bedeutender als Eferding und besäße statt der bescheidenen Kapelle eine Kathedrale mit einem himmelhohen Turm, wie die Eferdinger Stadtpfarrkirche, und nicht bloß einen kleinen Dachreiter. Und eine große Wallfahrt. – Am Altar gestorben, aber weil erschossen, ist auch Erzbischof Oscar Arnulfo Romero y Galdamez, während einer Messe in der Krankenhauskapelle von San Salvador. Papst Franciscus hat ihn am 23. Mai 2015 seliggesprochen. Sein Vorvorgänger Johannes Paul II. stand der sogenannten Befreiungstheologie, die aus der Doctrina Christiana und der Bibel unmittelbare politische Konsequenzen zieht und als deren prominentester Vertreter Bischof Romero galt, noch sehr kritisch gegenüber, wie wir seinerzeit mit Erstaunen gesehen haben, dass er bei seinem Besuch in Nicaragua dem Priesterdichter und Kulturminister Ernesto Cardenal, der sich als „Sandinist, Marxist und Christ“, in dieser Reihenfolge, definierte, gemaßregelt und mit ernster Miene den drohenden Zeigefinger gezeigt hat. Janko Messner, der verstorbene Kärntner slowenische Dichter, der, wie auch der Schauspieler Dietmar Schönherr, mit Cardenal in Verbindung war und ihn wiederholt besuchte, hat mir nach einer seiner Visiten das Buch „Antologia“ mit einer Widmung mitgebracht: Para Alois Brandstätter un cordial saludo. Ernesto Cardenal, Nicaragua, 31 de anero de 1985.
In diesem Jahr 1985 war Cardenal noch Kulturminister, das war auch das Jahr, in dem er durch Rom seines Priesteramts verlustig ging, nachdem er wie auch sein Bruder Fernando Cardenal, der Erziehungsminister wurde, aus dem Jesuitenorden ausgeschlossen worden war. Einem so bedeutenden Homo politicus und Revolutionär verzeiht man gern, wenn er, wie in meinem Fall geschehen, deinen Namen falsch oder nicht ganz korrekt schreibt: Brandstätter. Und weil es sich um einen spanischsprachigen „geistlichen“ Autor handelt, sage ich auf Römisch-katholisch: absolucion para Ernesto Cardenal. Ich will nicht so päpstlich wie der Papst sein. Ich weiß ja, dass er von mir wenig gewusst haben wird und dass ihm Janko Messner wahrscheinlich einen Zettel mit diesem Namen gereicht und kurz erklärt hat, um wen es sich handelt, einen Schriftsteller und Kollegen.
Einer, der meinen Namen wiederholt richtig geschrieben hat, war Ernest Borneman. Darum tat es mir nachträglich auch leid, dass er sich durch ein Prosagedicht, das ich in der Wochenzeitung „Die Furche“ veröffentlichte, nicht gerade beleidigt, aber doch unangenehm berührt fühlte, wie er mir in einem Brief mitteilte. Vor allem meine erste Veröffentlichung, „Überwindung der Blitzangst“, hat ihn als Psychiater, der viel über Neurosen und Phobien wie auch die Keraunophobie, also Gewitterangst, Agoraphobie, also Platzangst, und über Zwänge nachgedacht und geschrieben hat, sehr beschäftigt. Er habe das Buch wiederholt in der Buchhandlung des Welser Landesverlags gekauft und an Freunde verschenkt. Und nun also hatte ich geschrieben, wenn ich mich auswendig richtig zitiere: Manchmal trete ich in Pichl vor mein Haus, schaue über die Berge hinüber und denke mir: Dort drüben in Scharten sitzt mein Nachbar, der wackere Ernest Borneman im zur Erotischen Bibliothek umgebauten Schweinestall seines Bauernhauses und schreibt sich die Finger wund über den fleischlichen Menschen. Und dann habe ich wohl einen Satz des Apostels Paulus zitiert, den ich Borneman in Erinnerung rufen wollte: Der Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes.
In meinem „Gedicht“ habe ich wohl auch auf eine im Radio gehörte Diskussion abgehoben, wo sich Bornemans Kollege, der Psychiater und Suizidforscher Erwin Ringel, und der Schriftsteller Erich Fried auf einem Podium über die Sexualfeindlichkeit der Kirche und vor allem des Papstes Johannes Pauls II. ausgelassen haben, jene Sexualfeindlichkeit, aus der so viele ekklesiogene Neurosen resultierten. Immer wieder brandete im Publikum nach den pointierten, gepfefferten „Sagern“ Frieds frenetischer Applaus auf. „Der Papst muss krank sein“ war ein wiederkehrender Refrain in einem Text Frieds. So habe ich boshafterweise, eben als Brandstifter, geschrieben, dass Fried und Ringel, zwei sichtlich physisch, wenn auch nicht psychisch Angeschlagene, ja Schwerkranke, niemanden, auch nicht den Papst, der damals noch „nicht angeschossen“ war und nicht an Parkinson litt, pathologisieren sollten. Das „Pathologisieren“, der „Krankheitsverdacht“, ist ja eine der bekannten feindseligen, eher primitiven Methoden der Polemik. Borneman hat mir daraufhin also geschrieben und gemeint, eine solche Bibliothek, wie ich sie bei ihm im umgewidmeten Kuhstall (nicht Schweinestall!) vermute, habe nicht er in Scharten, sondern Martin Humer, der sogenannte Pornojäger, in St. Marienkirchen.
Apropos „Pathologisieren“. Einige Zeit später hat bekanntlich der Unterrichtsminister Herbert Moritz Thomas Bernhard zum Patienten erklärt, der mehr als für die Germanistik ein Fall für die Psychiatrie sei. Wo doch gesund zu sein ein großes Glück, aber Kranksein ein Verhängnis ist. Und wo es auch immer wieder pumperlgesunde Dumme und geistig hochstehende Kranke gibt. Wofür Stephen Hawkins, der „Chefingenieur des Universums“, ein extremes Beispiel ist. Man müsste wohl grundsätzlich zwischen körperlichen Leiden und Geisteskrankheiten unterscheiden, dem Morbus Boeck und der Schizophrenie. Grundsätzlich gilt auch: Senectus ipsa est morbus. Das Alter also ist an sich und als solches eine Krankheit, der niemand entgeht, außer wer jung stirbt.
Sei dem wie immer. Ernest Borneman hat mir in sein Buch „Die Ur-Szene. Das prägende Kindheitserlebnis und seine Folgen“, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1980, die folgende Widmung geschrieben: Für Alois Brandstetter zur Überwindung der Triebe. Vom guten Nachbarn Ernest Borneman, Scharten, 26. 1. 1984. So kurz Bornemanns Widmung auch ist, enthält sie doch einige Anspielungen, vor allem natürlich auf mein Debüt in der literarischen Welt, die erwähnten Prosatexte mit dem Titel „Überwindung der Blitzangst“.
Dass Eigennamen wirklich etwas Eigenes und Eigentümliches sind, mit denen man nicht „spaßen“, also Scherz und Allotria treiben sollte, hat uns schließlich Goethe in „Aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit“ im Buch 10 gelehrt, wo er sich über die „Volksetymologien“, also falschen Herleitungen seines Namens gegenüber Herder verwahrt, der ihm in Straßburg ein Billett geschickt hat, mit der Bitte um Bücher, die er offenbar in Goethes Quartier gesehen hatte, das so schließt: „Der von Göttern du stammst, von Goten oder vom Kote, Goethe, sende mir sie.“ – „Es war freilich nicht fein, dass er sich mit meinem Namen diesen Spaß erlaubte; denn der Eigenname eines Menschen ist nicht etwa wie ein Mantel, der bloß um ihn her hängt und an dem man allenfalls noch zupfen und zerren kann, sondern ein vollkommen passendes Kleid, ja wie die Haut selbst ihm über und über angewachsen, an der man nicht schaben und schinden darf, ohne ihn selbst zu verletzen.“
Kann aber sein, dass der junge Goethe selbst gegen diese Namenskeuschheit gesündigt hat. So kann man es vielleicht verstehen, wenn er im 2. Buch von „Dichtung und Wahrheit über Klopstock schreibt: „Aus der Ferne machte jedoch der Name Klopstock auch schon auf uns eine große Wirkung. Im Anfang wunderte man sich, wie ein so vortrefflicher Mann so wunderlich heißen könne; doch gewöhnte man sich bald daran und dachte nicht mehr an die Bedeutung dieser Silben.“ Sollte er also jemals über diesen merkwürdigen Namen gespottet haben, dann hat er spätestens im „Werther“ Abbitte und Wiedergutmachung geleistet: Werther und Lotte treten bei einer Abendveranstaltung beiseite an ein geöffnetes Fenster, sie blicken in die Nacht hinaus, und Lotte sagt tief ergriffen, „tränenvoll“, nur ein Wort: Klopstock. Darauf Werther: „Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ausgoss.“
Und eine besonders beherzigenswerte Lektion über die Bedeutung der Namen und natürlich der durch sie bezeichneten Personen erteilt Heinrich Heine in dem – einer Anthologie titelgebenden – Gedicht „Donna Clara“ („Nenne mir deinen lieben Namen“). Donna Clara bittet also den Ritter, in den sie unsterblich verliebt ist, ihr endlich seinen lieben Namen zu sagen. Er zögert die Antwort durch Zwischenfragen nach ihrer Treue hinaus, die sie, mit antisemitischen Ausfällen untermischt, ihre Liebe beteuernd, beantwortet. „Ach lass die Juden!“, sagt der Ritter wiederholt. Schließlich aber: „Ich, Sennora, Eu'r Geliebter / Bin der Sohn des vielbelobten, / Großen, schriftgelehrten Rabbi / Israel von Saragossa.“
Israel wie der Rabbi von Saragossa und sein Sohn, in den die Donna Clara unsterblich verliebt ist, hießen auch die Eltern einer meiner Bekannten im Saarland. Sie haben sich aber aus (falscher) Rücksicht auf den verheerenden Zeitgeist zu Beginn der Nazizeit umbenannt oder „umtaufen“ lassen, wie man diesen Vorgang, theologisch inkorrekt, auch genannt hat. Ihr neuer Name rekurrierte auf den „deutschen Gau“, in dem sie wohnten (Eifler). ■

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