Kommt's nur auf die Crema an?

In der Welt der Kaffeepatronen gibt es keine Umweltsünde – natürlich wird recycelt. Doch versteckt sich hinter dem das Gewissen beruhigende Tun eine andere Wahrheit: anstatt ewigen Lebens ein schneller Tod des Aluminiums.

Zeitgemäßes Design besteht nicht mehr nur aus Produkten, sondern aus der Kombination von Produkten mit Servicekonzepten. Teilen und das Benutzen statt des Besitzens sind die gängigen Schlagwörter einer positiven Entwicklung im heutigen Konsumverhalten des globalen Nordens. Zahlreiche Gegenstände liegen oder stehen herum und werden nur wenig genutzt. Serviceangebote, diese Produkte gemeinsam zu nutzen, haben in letzter Zeit immer mehr Zuspruch bekommen. Durch die gemeinsame Nutzung teilt sich der Fußabdruck der Produktion eines Gegenstandes auf mehrere Nutzer auf. Neue Communitys entstehen, die sich durch das gemeinsame Nutzen und somit ihren Lebensstil im Sinn einer nachhaltigen Lebensweise definieren.

Es gibt aber leider auch Produkt-Service-Konzepte, welche die Umweltauswirkungen, statt sie zu reduzieren, vervielfachen. Die Anhänger dieser Konsum-Communitys werden in „Klubs“ vergemeinschaftet. Durch den Kauf einer Kapselkaffeemaschine wird man zum Beispiel so ein Klubmitglied. Die Kaffeemaschinen kann man heutzutage in exklusiven Boutiquen kaufen, natürlich in bester Innenstadtlage, neben Uhrengeschäften und Boutiquen der globalen Fashionlabels. Ja, die Kaffeemaschine ist heute ein Luxusgut geworden, wer hätte das gedacht?! Der Konsumfetisch ist allerdings nicht die Maschine, sondern der Espresso, der mit ihr produziert werden kann. Durch einen beträchtlich großen Werbeaufwand weiß heute jedes Kind, dass ein Espresso eine „Crema“ braucht. In Zeitlupe fällt der letzte Tropfen Kaffee in die Tasse und springt zurück. Garant dieser exklusiven Kaffeeerfahrung ist ein proprietäres Kapselsystem. Der moderne Mensch hat nun auch das Zubereiten eines Espressos zu einer entfremdeten Erfahrung gemacht. Patrone in das Gerät einlegen, Magazin zuschieben. Schon schießt der Espresso mit 18 Bar Druck durch die durchlöcherte Patrone in die Espressotasse, die von einer berühmten Architektin entworfen wurde. Eine Designsensation! Nicht einmal ein Knopf muss mehr gedrückt werden! Die Klubmitglieder sind sich einig: Mehr Komfort geht nicht mehr. Das Kulturgut Espresso ist durch die Genialität der Industrie transzendiert, zum reinen Erlebnis. Vorbei sind das Schrauben, Patzen, Danebenleeren und vor allem das Warten. Alles muss heute schnell gehen, und am besten von selbst. Jetzt kann jede und jeder einen perfekten Espresso machen. Das soziale Ansehen einer großen Menge von Menschen und Institutionen wird durch diese kulturelle Errungenschaft steigen. Ein perfekter Espresso nicht mehr nur in Italien, sondern überall in der Welt. Im Altersheim, im Spital, beim Friseur, bei Oma und Opa, im Büro und natürlich zu Hause.

Nur fortschrittsfeindliche Zeitgenossen können gegen diese bahnbrechende Innovation Vorbehalte hegen. Ist nicht sozialer Zusammenhalt die Agenda des Designs der Zukunft? Der Kaffeeklub als soziale Institution der Weltrettung. Geadelt von den Logos zahlreicher NGOs. Da kommt kein Zweifel auf, alles kontrolliert, umweltschonend und fair. Und für die letzten Zweifler gibt es auch noch Zahlen und Fakten. Der gesamte Lebenszyklus vom Kaffeeanbau bis zum Recycling der Kapseln ist in Ökobilanzen mit weit über hundert Seiten dokumentiert. Heute wird auch die Umweltverträglichkeit bilanziert. Und die komplexen Zusammenhänge gibt es dann als einfache bunte Balkengrafik für die Kaffeekenner zur Erleichterung des Gewissens.

Die Kaffeegefolgschaft lebt in ihrer eigenen Welt, durch den Kauf tritt man in sie ein. „Herzlich willkommen! Treten Sie ein in die Welt von . . .“ So wird man vom nationalen Geschäftsführer der Kaffeewelt in einem Buch, das einer revolutionären Espressomaschine beigepackt ist, begrüßt. Diese Welt ist natürlich von ausgesuchtem Wissen um Nachhaltigkeit geprägt. Die Feinde der exklusiven Kaffeeklubs äußerten schon mehrmals ihre Bedenken gegen die aufwendige Verpackung der Kaffeemunition. Aber die Kapselsysteme wurden natürlich nicht nur für den perfekten Genuss optimiert, sondern auch unter Berücksichtigung ökologischer Aspekte. Zu diesem Aspekt liegt in der exklusiven Kaffeeboutique eine mehrseitige Broschüre mit ausklappbaren Seiten parat. Golden schimmernde Kapseln erzählen auf kaffeebraunen Hintergrund von ihrer Unsterblichkeit. Natürlich werden sie von den Klubmitgliedern gesammelt und zu den Sammelstellen gebracht, das gehört wohl zum Ehrenkodex des Klubs. Von dort geht es dann zu einem Rohstoffverwerter, denn sowohl die Kapsel als auch der Kaffeesatz sind wertvolle Rohstoffe. Aus dem Kaffeesatz kann Energie gewonnen werden, und das Aluminium wird selbstverständlich auch wieder eingeschmolzen. Das ist ja bekanntlich klüger und energiesparender, als neues Aluminium zu produzieren. Dafür garantiert die Interessensgemeinschaft der europäischen Aluminiumhersteller!

Der Heiligenschein des Recyclings aus den beiden halbkreisförmigen Pfeilen bildet eine heilige Aura der Unbescholtenheit um die Kapsel. In dieser Welt gibt es keine Umweltsünde. Auf der letzten Seite des Umweltkatechismus gibt es folgende Belehrung: „Aluminium wird zur Wiederverwertung einfach eingeschmolzen. Dieses Verfahren zeichnet sich durch mehrfache Vorteile aus: sehr geringer Energieverbrauch, kein Gewichts- und Qualitätsverlust sowie uneingeschränkte Wiederholbarkeit.“ Wer das glaubt, ist bestenfalls uninformiert zu nennen. Ein Qualitätsverlust wäre nur erreichbar, wenn die Kaffeemunition nicht bloß sortenrein gesammelt, sondern auch eingeschmolzen werden würde. Und der Kaffeegott irrt auch in der Behauptung, dass kein Gewichtsverlust entstünde. Aus einer Tonne eingeschmolzenen Aluminiumschrotts werden in der industriellen Praxis nur etwa 850 Kilogramm Recyclingaluminium. Und eingeschmolzen werden können ja auch nur die Kapseln, die im Sammelsystem landen. Geht man von einer Wunschsammelquote von 75Prozent aus, dann verblasst der Recyclingheiligenschein sehr schnell. Anstatt ewigen Lebens kommt der schnelle Tod des Aluminiums. Nach dem ersten Espresso sind von zehn Kapseln noch sieben recyclierte Kapseln im Umlauf. Und nach dem fünften Espresso ist gar nur mehr eine recyclierte Kapsel auf der Kaffeewelt. So ist der realistische Zyklus der Kapseln. Die Flucht in eine andere Kaffeewelt mit anderen Kapseln bringt auch kein Heil. Sie umweltbilanzieren pro getrunkenen Espresso ähnlich schlecht, wenn es um den CO2-Fußabdruck geht. Und in einer Welt, in der Wasser immer knapper wird, ist auch der Wasserrucksack ein wichtiger Faktor. Damit 40 Milliliter Espresso in die Designertasse laufen, braucht es fast 400 Liter Wasser für die Kaffeeproduktion und Aluminiumkapselherstellung! Die exklusive Kapselverpackung schlägt dabei mit rund 350 Litern Wasser zu Buche. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2013)

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