Damals schrieb Testamentarische Seltsamkeiten

Wien, 20. Mai 1864 – Revue Britannique. Hat der Leser je einmal den Gerichtshof, genannt Doctors Commons, besucht? Diese riesigen, düstern Papiermassen haben ein so theologisches Aussehen, daß jemand, der sie zum erstenmale sah, einst fragte, ob dies lauter Bibeln seien. „Nein“, antwortete ein witziger Beamter, „es sind Testamente.“ Ganze Säle vollvon Testamenten: der bloße Gedanke daran macht erbeben. Ach, wenn man die Zeit und die Geduld hätte, nur einen kleinen Theil davon durchzugehen, oder vermittelst eines Zauberstabes die wunderlichsten herausfinden könnte, nicht eineneinzelnen Artikel, eine ganze Bibliothek voll unterhaltender Lectüre vermöchte man daraus zu ziehen.

Mit beißendem Sarkasmus hat Pope die herrschende Leidenschaft seines Zeitalters, den Geiz, gegeißelt. Aus derselben Epoche stammt eine pikante Anekdote. Ein Geizhals auf dem Sterbebett läßt seinen Notar kommen: „Schreiben Sie nur die Einleitung; die Artikel werde ich ihnen hernach dictiren.“ – „Ich gebe, vermache und übertrage...“, schreibt der Mann des Gesetzes. – „Von all dem thue ich nichts. Nie wird es mein Wille sein, irgend etwas zu geben, zu vermachen oder zu übertragen“, ruft der Testator aus. – Der Anwalt dachte eine Weile nach: „Wenn wir setzten: ich leihe bis zum Tage des jüngsten Gerichts?“ – „Vortrefflich, das geht“, fiel der Geizige ein, die Schwierigkeit war behoben, und das Testament wurde nunmehr ohne Mühe zu Stande gebracht. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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