Eine magere Krone

Das Wiener Ronacher wurde „funktionssaniert“. Will heißen: Auf Highlights wurde verzichtet. Schade – vor allem wenn die Architekten Domenig und Wallner heißen. Gute Arbeit, und doch: ein klarer Fall von Überbesetzung.

Der Schlüsselbegriff heißt Funktionssanierung. Er besagt, dass funktionelle Missstände beseitigt wurden. Er suggeriert, dass architektonische Highlights gar nicht erst vorgesehen waren. Und das ist natürlich eine herbe Enttäuschung. Denn ein bisschen „handschriftlicher“ Domenig, der zwischen oder über der etwas bombastischen Theaterarchitektur des Ronacher von Helmer und Fellner sichtbar geworden wäre, hätte bestimmt nicht geschadet.

Was man jetzt sieht, je nachdem, wo man sich hinstellt – am besten in die Himmelpfortgasse –, sind Bruchstücke einer zweifellos eleganten Glaskiste, die das Wiener Ronacher neuerdings bekrönt. Wie es sich bei den üblichen Dachbodenausbauten gehört, ist sie zurückgesetzt, die rundum laufende, potenzielle Terrassenfläche bleibt jedoch ungenutzt. So schön sie sein könnte, an Anrainereinsprüchen ist es gescheitert: Die militanten Anwohner wollten sich aber selbst vor dieser Nicht-Nutzung noch schützen und haben eine gläserne Schallschutzwand durchgesetzt.

Das „Penthouse“ auf dem Ronacher enthält alles Mögliche, darunter einen Probenraum, einen Ballettsaal und vor allem die Mitarbeiterkantine – Letztere übrigens an privilegiertester Position. Gönnen wir diese Aussicht den Mitarbeitern. Dass aber das öffenbare Glasdach über dem Probenraum gestrichen wurde, ist ärgerlich. Denn der Probenraum ist so ausgelegt, dass dort auch kleine Veranstaltungen stattfinden können (für unter 100 Besucher). Und sicher wäre dieses gläserne Dach ein kristallines Highlight geworden, denn wie Domenig so etwas löst, weiß man ja. Gescheitert ist das nicht in erster Linie an den Finanzen, wie kolportiert wird – sondern gleichfalls an den Anrainern. Beim Gedanken, dass in der warmen Jahreszeit bei offenem Dach die Schallfetzen einer kleinen Veranstaltung über die Dächer dringen – war offenbar Widerstand angesagt. So scheitern auch noch die bescheidenen architektonischen Interventionen.

Natürlich ist auch Positives zu vermelden. Schließlich wurde aus einem nur bedingt bespielbaren Haus ein moderner Theaterbetrieb, der einer gar nicht so einfachen Sparte, dem Musical, gewidmet ist. Dafür wurde die gesamte Theatermaschinerie erneuert, bis hin zu Seiten-, Hinter- und Unterbühnen, einem elektronisch gesteuerten Schnürboden, einem variablen Orchestergraben, einem Probenraum für das Orchester – Letzterer ganz unten, man hat immerhin drei Geschoße in die Tiefe gebaut.

Wichtigste Maßnahme für das Publikum: die Absenkung der Bühne um zwei Meter, die es ermöglicht hat, die Steigung der Sitztribünen im Saal anzuheben und damit die Sichtverhältnisse zu verbessern. Außerdem kann man jetzt vom Foyer eben in den Saal hineingehen, was nicht nur für Rollstuhlfahrer angenehmer ist. Da ist überhaupt allerhand möglich. Gewissermaßen auf Knopfdruck lässt sich im Zuschauerraum bis hin zur Bühne auch eine ebene Fläche herstellen, die Bestuhlung, die übrigens noch aus der „sanften Sanierung“ durch Luigi Blau herrührt, verschwindet – theoretisch kann man sogar Tische und Stühle aufstellen, wie es früher gang und gäbe war.

Es gab auch konstruktive Herausforderungen. Immerhin durfte der Theatersaal in seiner Substanz ja nicht angegriffen werden. Nun hing aber die Decke über dem Saal an ungefähr 40 Punkten am alten Dachstuhl, der durch den Aufbau entfernt werden musste. Das heißt, es musste eine Zwischenkonstruktion errichtet werden, an der die historische Decke aufgehängt wurde, bevor der alte Dachstuhl eliminiert und die neue Konstruktion errichtet werden konnte.

Viele Maßnahmen dieser Funktionssanierung werden nie öffentlich sichtbar. Wo die neuen internen Stiegenhäuser sitzen, die Fluchtwege, die ganze Haustechnik, aufwendige Brandschutzmaßnahmen eingeschlossen, das nimmt sicher niemand wahr. Es war zweifellos wichtig und notwendig, aber an der Tatsache, dass das Haus im internationalen Vergleich für eine Musicalbühne einfach zu klein ist – es gibt kaum 1.200 Sitzplätze, 2.000 sind der Standard –, an der lässt sich nicht rütteln.

Aber – was wären unsere Theater ohne ihre Subventionen! Und das ist das Ärgerliche dabei. Für alles gibt es öffentliches Geld, auch langfristig für einen vorhersehbar unökonomischen Theaterbetrieb. Da schwirren Summen durch die Gegend, weit über 40 Millionen Euro für diese Funktionssanierung, aber wenn man genau nachfragt, dann war für die Architektur selbst immer nur ein Bruchteil vorhanden.

Domenig und sein Partner und Projektleiter Wallner mussten sich nicht nur der Tyrannei des Denkmalschutzes und der Anrainer fügen, allen anderslautenden Gerüchten zum Trotz war auch das ökonomische Korsett ganz schön eng. Da ist man schon stolz, wenn ein etwas spezielles gläsernes Eck doch noch realisiert werden konnte, im Gegensatz zu einem gläsernen Schlitz, der Licht in die internen Umgänge gebracht und bis hinunter zu einer Terrasse auf dem Rondeau geführt hätte.

Es wundert nicht, dass angesichts einer so abgemagerten Architektur – man fragt sich, wieso dafür das Büro Domenig bemüht werden musste – schon wieder das seinerzeit geplante und nicht realisierte Coop-Himmelb(l)au-Projekt beschworen wird. Es gibt Hochrechnungen, denen zufolge die Kosten der „sanften Sanierung“ des Luigi Blau zusammen mit den jetzigen Kosten die des Coop-Projekts nicht überstiegen hätten. Aber gut möglich, dass das Projekt der Coop alle Schätzungen übertroffen hätte.

Eines steht fest: In Wien fehlt es an langfristigen Perspektiven, die Bestandteil eines Gesamtkonzeptes wären, es gibt keinen kulturellen Vorausblick, keinen Willen zur mutigen Innovation. Domenig und Wallner haben ihre Sache gut gemacht. Aber wenn man sich anschaut, was herausgekommen ist, muss man zugeben: Dieses Projekt war eindeutig überbesetzt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2008)

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