Spuren von Engeln

Alle Jahre wieder: die Adventbeleuchtung. Unter Sternen, Kristallformationen und surrealen Kugeln wird das Konsumerlebnis dramaturgisch aufbereitet. Design und Lichtinstallationen österreichischer Künstler in Wiener Einkaufsstraßen.

Weihnachtsmärkte und die weihnachtliche Beleuchtung von Einkaufsstraßen sind die dramaturgischen Mittel des Adventkapitalismus. Die bevorzugte Bauform auf den Advent- und Christkindlmärkten ist zumeist die einfache Holzhütte mit Giebeldach, die sich im Systembau auch zu größeren Formationen zusammenbauen lässt. Almhütten und Hüttenpagoden sind ebenfalls anzutreffen und bescheren den von Punsch Erheiterten den wohltuenden Kontrast zur Urbanität. Im Jahr 2007 versuchte der von Designstudierenden der Universität für Angewandte Kunst entworfene Citystand eine moderne Interpretation des Themas. Das keilförmige Pultdach ist aus durchscheinender Plane gestaltet, bietet die Möglichkeit für Beschriftung und somit gute Fernwirkung zur Hauptverkaufszeit am Abend.

Die Bezirksvorsteherin für den ersten Bezirk lobte den Stil, welcher der Innenstadt den Auftakt für ein modernes urbanes Punschhüttendesign geben sollte. Der Hersteller preist die 520 Kilogramm schwere Hütte wie folgt an: „Der Entwurf entstand speziell für die Wiener Innenstadt, in Harmonie mit der Architektur und den Linien historischer Gebäude der Innenstadt. Der Citystandist eine zeitgenössische Reinterpretation der charakteristischen Stil-Epoche, die sich in zahlreichen Bauwerken Wiens wiederfindet.“ Auf welche Epoche sich der formal sehr reduzierte Stand bezieht, bleibt die Beschreibung schuldig. Ebenso unerklärlich ist in der Berichterstattung der Verweis auf Adolf Loos, von dem keine solche Bretterbude überliefert ist.

Schon 2005 startete die Wiener Wirtschaftskammer eine mutige Initiative zur zeitgemäßen Gestaltung der Weihnachtsbeleuchtung der Wiener Einkaufsstraßen. Designschaffende wurden eingeladen, neue Entwürfe für große und kleine Einkaufsstraßen zu liefern. Diese wurden dann unter der Mitwirkung und Mediation der Kammer für die Kaufleute abgewickelt. Das Projekt Light up brachte bis 2010 mehr als 30 Projekte hervor. Ästhetisch und technisch erneuert, in stromsparender LED-Technologie, erstrahlten dann Jahr für Jahr neue Straßenzüge.

Die Liste der Gestalterinnen und Gestalter liest sich als jüngere Designgeschichte Österreichs: POLKA verteilte 2006 Schneekristalle im Stuwerviertel und bleibt damit im Kanon der weihnachtlichen Zeichenwelt. Element Design entwarf für die Josefstädter Straße schwebende blaue Kugeln, die in großer Anzahl, aber zurückhaltender Größe, sich elegant in die Einkaufsstraße einpassen und eine zeitgemäße Geste schufen, der Stimmung aber auch Identität verleiht. Für das Freihausviertel entwarf Steffen Kehrle 2007 die Installation „Starlights-Starnights“. Die klassische fünfeckige Sternform, die sich auch bestens zum Keksausstechen eignet, wurde hier als leuchtende Umrisslinie, aber um 90 Grad gekippt, mittig in den Straßenverlauf eingefügt. Es wirkt, als würden die sonst am Boden sitzenden Sterne des Walk of Fame in Hollywood sich abends Richtung Himmel erheben. Robert Rüf interpretierte für die Meidlinger Hauptstraße das Schneekristallthema als Bausatz, der immer wieder neue kristalline Konfigurationen bildet und sich perspektivisch zu Wolken verdichtet. Die Kristallformationen wirken verfremdet und strauchartig, bieten aber für ein weniger kunstsinniges Publikum genügend weihnachtliche Assoziation. Podpod Design, das im Wiener Stadtraum schon einige Lichtakzente gesetzt hat, entwarf für das Volksopernviertel amorphe Kulturwolken. Für die Wiedner Favoritenstraße entstand in Zusammenarbeit mit Julia Landsiedl ein Schneegestöber aus einzelnen Schneekristallelementen. 2008 dann taucht ein neues Motiv im weihnachtlichen Stadtraum auf, der Strahlenkranz von Sebastian Menschhorn für die Favoritenstraße. Die Strahlen fluchten auf Kopfhöhe der Passantinnen und Passanten und rücken so den Menschen in den Mittelpunkt. Die Arbeit bezieht sich auf ein Kunstwerk Piero Manzonis aus den 1960er-Jahren, bei dem die Galeriebesucher auf einen Sockel steigen und selbst zum Kunstwerk werden konnten. Trotz eindeutigen Bezugs zur christlichen Zeichenwelt bleibt das Bild für eine besondere Aura noch interkulturell mehrfach lesbar.

LUCY.D entwarf für die Hütteldorferstraße die X-Wings. Eine Abfolge von leuchtenden Flügelpaaren ergibt eine dynamische Flugbewegung, wobei wer oder was im Zwischenraum zwischen den Flügeln fliegt, ausgespart bleibt. Dottings erweiterte den Einsatzbereich der Weihnachtsbeleuchtung und schlug für die Neubaugasse eine Ganzjahresbeleuchtung vor, die saisonal mit Modulen verändert werden kann. Die Thaliastraße wurde dann 2009 mit Engelsspuren von bkm dekoriert, und die Kärtnerstraße bekam asymmetrische Kristallluster von Rainer Mutsch. 2010, im letzten Jahr des Programms, konnten noch die Installation von Franz Maurer in der Wollzeile und die fröhliche Dekoration der Straßenleuchten von aws Designteam in der Hernalser Hauptstraße umgesetzt werden.

Eine Reihe von Einkaufsstraßen wurde mangels Begeisterungsfähigkeit der Kaufleute für zeitgenössisches Design, mangelnder Konfliktkultur mit Katalogware oder direkt in Zusammenarbeit mit der Weihnachtsbeleuchtungsfirma umgesetzt. Erwähnenswert sind hier die zahlreichen Arbeiten von Robert Karrer, der als Geschäftsführer des Österreichablegers eines internationalen Beleuchtungskonzerns selbst mehrfach Hand anlegte und in dieser Doppelfunktion noch mehr Kundennähe und Flexibilität als die Designer aufbrachte. Die Rotenturmstraße mit den surreal großen roten Kugeln, aber auch die Luster des „Ballsaals“ auf dem Graben gehören wie auch weniger signifikante Lichtinstallationen in zahlreichen anderen Straßen zu seinem Oeuvre. Seit dieser Initiative geht es auch wieder ohne Design, die 2011 installierte Weihnachtsbeleuchtung der Landstraße zeigt das in bedauerlicher Weise. Dort könnte heute ein Projekt des designierten Österreichvertreters für die Kunstbiennale in Venedig 2015 hängen. Heimo Zobernig entwarf in Zusammenarbeit mit Norbert Steiner 2004 auf Initiative von Anja Hasenlechner eine Lichtinstallation mit Kugeln, die auch prototypisiert wurde. Den Kaufleuten war es wohl zu wenig weihnachtlich. Aus einem großangelegten Kunstprojekt wurde dann ein nicht konsequent umgesetztes Designprojekt, das gleichzeitig die mangelnde konsequente strategische Bedeutung von Design im Stadtraum zeigt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2014)

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