Sonne, Luft und grüner Hügel

Wenn Bewohner ein Projekt kapern: In Marchtrenk gestaltete das Büro Dornstädter Architekten einen Kindergarten mit großem Entwicklungspotenzial.

Marchtrenk, im oberösterreichischen Hausruckviertel gelegen, ist mit seinen mehr als 12.000 Einwohnern die größte Stadt des Verwaltungsbezirkes Wels-Land. Tendenz: weiter steigend. Das deutet auf ein ausgewogenes Verhältnis der Grundstückspreise zum Gebotenen. Das da wäre: die Lage mitten im wirtschaftlich florierenden Großraum zwischen Linz und Wels, zu dem zwei Autobahnanschlüsse und ein Bahnhof eine direkte Verbindung halten. Auch finden sich mehr als 500 Betriebe mit mehreren tausend Arbeitsplätzen in Marchtrenk sowie ein respektables Angebot an sozialer Infrastruktur.

Was man – noch – nicht bekommt für das Geld: gut gestalteten öffentlichen Raum. Den hat man in der Gemeinde, die während des Ersten Weltkrieges ein Lager für Kriegsgefangene stellte und nach dem Zweiten Weltkrieg einer großen Zahl von Vertriebenen aus Siebenbürgen und Donauschwaben zur neuen Heimat wurde, bisher vielleicht für Luxus gehalten. So ist auch die Roseggerstraße in Marchtrenk Teil eines stellenweise recht schütteren Teppichs frei stehender Siedlungshäuser, in den nur der alte, einst zur Versorgung des Kriegsgefangenenlagers errichtete Wasserturm ein bescheidenes Zeichen setzt. Nun haben aber die Bewohner der Siedlung wesentlich mehr Gemeinschaftssinn, als man angesichts dieses wenig urban anmutenden Stückes Stadt glauben möchte. Sie kaperten kurzerhand das Projekt zum Neubau eines Kindergartens, um ihr Wohnumfeld mit angemessenen Begegnungsräumen nachzurüsten. Das im nahen Traun ansässige Architekturbüro Dornstädter Architekten entwickelte dazu einen mehrstufigen Plan, dessen erster Bauabschnitt, der Kindergarten, kürzlich bezogen wurde. Er schließt die Südflanke des äußerst großzügig bemessenen Grundstücks der Volksschule 2 zur Roseggerstraße hin.

In weiterer Folge sollen die Volksschule selbst und der später hinzugefügte Turnsaaltrakt saniert werden. Ein Zubau im Bereich des bestehenden Verbindungsganges wird das Raumangebot erweitern, um die Nachmittagsbetreuung der Kinder zu ermöglichen. Gleichzeitig versprechen diese Maßnahmen die keineswegs überflüssige Verbesserung des derzeitigen Erscheinungsbildes der Anlage. Anstelle eines desolaten Nebengebäudes der Schule soll ein multifunktionaler Versammlungsraum an der Ecke Roseggerstraße/Neufahrnerstraße den Gemeinschaft stiftenden Charakter der hier versammelten Einrichtungen unterstreichen. Das Büro Dornstädter Architekten hat in der Struktur des Kindergartengebäudes naturgemäß die Zukunft des Ortes vorweggenommen, nicht ohne die Qualitäten der Gegenwart zu würdigen.

Was beibehalten worden ist: eine am Alltag orientierte Schwerpunktsetzung auf die Funktionstüchtigkeit von Räumen und Raumfolgen und die unaufgeregte Bescheidenheit in der Wahl der Mittel. Neu hingegen ist das Bekenntnis zu umfassender und qualitätsvoller Gestaltung, die bei der Beziehung der Räume zueinander beginnt und mit der sorgfältigen Ausarbeitung der Details endet.

Der Kindergarten ist um eine 15 Meter breite Ballspielwiese von der Roseggerstraße weg nach Norden gerückt. Mit seiner westlichen Kante greift er die östliche Flucht des Volkschulgebäudes auf. Parallel zur Nordfassade wird später der Erweiterungsbau der Volksschule stehen. Eine zukünftig gemeinsam bespielte Freifläche davor nutzt im Zusammenhang mit dem an dieser Stelle in den Kindergarten geschnittenen Atriumhof die räumliche Nähe der beiden Institutionen. Damit soll eine Verbindung geschaffen werden, die heutigen Erziehungs- und Bildungskonzepten besser entspricht als die bisher praktizierte strikte Trennung der Häuser.

Der Kindergarten ist ein unprätentiöses eingeschoßiges Gebäude mit einem asymmetrisch den rechteckigen Grundriss überspannenden Satteldach, das auch die den Räumen im Süden vorgelagerte Terrasse vor Witterung schützt. Auf den ersten Blick unterscheidet sich sein Auftritt also kaum von jenem der Einfamilienhäuser rundum. Doch anstelle schmucker Ziegel oder unverwüstlicher Platten bedeckt intensiv bepflanzter Humus den Kindergarten: So wird dieser mit dem nahenden Frühling zum grünen Hügel im reichlich ebenen Landschaftsraum. Auch die zweimal geknickte Dachfläche, die den Weg der Kinder von der Straße bis zum Haupteingang an der Westseite des Hauses beschirmt, ist ein augenzwinkerndes Indiz dafür, dass die scheinbare Harmlosigkeit der gewählten Form wohlüberlegt ist und – anders als üblich – mit der Ausformung der Innenräume korrespondiert. Tatsächlich reichen diese allesamt bis unter die Dachkonstruktion, die durch den Hof an der Nordseite und drei kleinere Einschnitte entlang der Südfassade strukturiert wird. Da sich die Organisation des Grundrisses mit dem Auf und Ab der Dachlandschaft präzise deckt, unterstreicht diese den jeweiligen Charakter der unterschiedlichen Nutzungsbereiche.

Über den Haupteingang an der Westseite des Hauses und den dahinterliegenden Windfang gelangt man in eine multifunktionale Halle. Linker Hand erschließt ein kurzer Gang das Büro der Leiterin, den Personalraum und die Küche. An ihrer Nordseite wird die Halle vom Atriumhof flankiert. Ihre südliche Kante wird von drei Gruppenräumen begrenzt, die jeweils über einen niedrigeren eingeschobenen Körper mit Garderobe und Nasszelle zugänglich sind.

Der den ganz Kleinen gewidmete Trakt des Hauses ist nach Osten orientiert: Ein breiter Gang im rechten Winkel zur Halle erschließt die drei Gruppenräume der Krabbelstube auf der einen und einen Bewegungsraum auf der anderen Seite. Alle Erschließungsflächen verfügen über mindestens eine großzügige Öffnung ins Freie. Auch die Gruppenräume sind über den Filter ihrer Terrassen mit dem Umfeld verbunden. Verschiebbare transluzente Sonnenschutzelemente an der Kante des Daches verhindern eine Überhitzung auf der Südseite und verleihen dem Außenraum Intimität.

Die Dachausschnitte über den niedrigeren Garderobenbereichen lassen Licht von oben einfallen, was der Orientierung zugute kommt. Auch im Inneren des Kindergartens hat das Büro Dornstädter Architekten die Einschnitte aus der großen Form zum Aufbau von Blickbeziehungen – etwa zwischen den Spielpodesten der Gruppenräume und der Halle – und zur Schaffung abwechslungsreicher Belichtungssituationen genutzt. Bei der Wahl der Materialien und Farben hingegen hat es sich weitgehend zurückgenommen: Der außen mit einer hell lasierten vertikalen Fichtenholzschalung mit großer Sorgfalt verkleidete massive Holzbau ist – unter beträchtlichem Planungsaufwand – an seiner Innenseite zur Gänze unbehandelt sichtbar geblieben und spricht mit seinen schönen Oberflächen auch Tast- und Geruchssinn an. Helle Holzböden in den Aufenthaltsräumen und schlichter geschliffener Estrich in den Erschließungsbereichen vervollständigen bereits eine Hülle, in der sich der Alltag in ungebremster Farbigkeit entfalten kann. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2015)

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