Damals schrieb Zittern vor dem Cancan

27. Juli 1865. (Theater-Nachrichten.) Man schreibt uns aus Prag vom 25. d.: Fräulein Gallmeyer erringt hier nur als Schauspielerin Erfolge – ihr Cancan jedoch, den sie nun endlich getanzt, hat weniger Bewunderer als Gegner gefunden, Gegner, die behaupten, daß, wenn Geberden vor Gericht gestellt werden könnten, Fräulein Gallmeyer der Strenge des Gesetzes verfallen würde.

Sie werden gut thun, diesen Vorwürfen nicht allzuviel Glauben zu schenken, die Prager sind noch zu spießbürgerlich, um die Vorzüge der feschen Cancanière gehörig zu würdigen, wenn auch die Rigolboche in etwas ihre Prüderie heilte. Damals, als Frankreichs dickleibige Tänzerin mit Felix' Gesellschaft hier eintraf, zitterte man noch vor dem Cancan; eine einflußreiche Persönlichkeit that alles, um ihn zu verhindern, ein Polizei-Commissär wohnte auf ihre Bitte der ersten Probe bei, fand jedoch nichts Anstößiges in dem edlen Tanze, und wollte ihn gestatten – da erwirkte man wenigstens ein Verbot der langen Kleider, und die Rigolboche tanzte in Tricots, wie jede andere Balleteuse.

Heute erscheint Fräulein Gallmeyer ungehindert in blauem Seidenkleide mit langer Robe beim Cancan, und wenn sie mit ihren kleinen Füßchen ihrem Tänzer ein Schnippchen schlägt, so wirkt das ganz anders, als ehemals bei Mademoiselle Rigolboche. Ist das nicht ein freiheitlicher Fortschritt und eine zarte Rücksicht gegen heimische Kunsterscheinungen? ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2015)

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