Damals schrieb Hochsommer in Florenz

Wien, 20. September 1865.(Florentiner Briefe. II.) Es ist sehr verzeihlich, Florenz für die unerträglichste Stadt dieser Erde zu erklären, wenn man alle einunddreißig Tage des Juli hindurch die Schrecknisse des Florentiner Hochsommers erduldet hat. Keine Kunstbegeisterung hält Stand vor den verheerenden Strahlen, welche Phöbus Apollo herabschießt; kein noch so eifriger Bewunderer des Mittelalters findet den Platz der Signoria interessant, wenn unter seinen Füßen die glühenden Granitplatten ihn allzu lebhaft an Feuerprobe und Gottesgericht erinnern; die Säle der Uffizien und des Palastes Pitti sind verödet, denn wer besäße ein Nervensystem, stark genug, um nicht nur aller Feindseligkeit der Natur Trotz zu bieten, sondern auch noch Sinn und Kraft übrig zu haben für die erschöpfenden Genüsse der Sammlungen!

Selbst die lieblichen Umgebungen derArnostadt verschleiert die graue schwere Nebelluft des Scirocco, und kein Lächeln des bleiernen Himmels lockt hinaus zum Gange nach dem schönen Hügel von San Miniato, oder nach der Etruskerstadt Fiesole. In dieser grausamen Zeit lernt man, wie das leibliche Ungemach den Geist lähmt; man begreift, warum der mit der Noth des Lebens ringende Hirte oder Fischer keinen Sinn hat für die ihn umgebenden Reize der Natur, und warum die Kunst erst in einer verhältnismäßig vorgeschrittenen Epoche der Geschichte ihren Anfang nimmt. Dem Genuß der Schönheit muß das Behagen vorausgehen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)

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