Fadesse ringsum

(Wien, 7. Oktober 1865.) (Aus Berlin.) Sehen wir uns nach einem passenden Gleichnis um, so können wir unsern gegenwärtigen Zustand nur mit dem der Mannschaft eines in den Polargegenden eingefrorenen Schiffes, oder eines Indienfahrers vergleichen, der bei gänzlicher Windstille unter dem Aequator liegt, während Passagiere und Matrosen sehnsüchtig nach einem Lufthauch ausschauen.

(Wien, 7. Oktober 1865.) (Aus Berlin.) Sehen wir uns nach einem passenden Gleichnis um, so können wir unsern gegenwärtigen Zustand nur mit dem der Mannschaft eines in den Polargegenden eingefrorenen Schiffes, oder eines Indienfahrers vergleichen, der bei gänzlicher Windstille unter dem Aequator liegt, während Passagiere und Matrosen sehnsüchtig nach einem Lufthauch ausschauen. Eine gänzliche politische Stockung ist eingetreten, und der Strom der Ereignisse nicht lebhafter, als der Lauf unserer Spree bei dem gegenwärtigen Wassermangel. Würde nicht der „Social-Demokrat“ in unseren Mauern gedruckt, wir wüßten nicht einmal von einer confiscirten Zeitung zu berichten.

Die Journale gehen in Sack und Asche einher, die Correspondenten haben ihre Federn ausgewischt, und es wird schon als ein für die Unterhaltung von 24 Stunden ausreichendes Ereignis angesehen, wenn ein in Berlin gastirender Polizei-Lieutenant aus Posen die Photographie des Grafen Bismarck und Fräulein Lucca vom Schaufenster entfernt wissen will. „Hermann, mein Rabe!“ ruft erwartungsvoll der Zeitungsleser, wenn Morgens oder Abends der Postbote eine Zeitung aus den Rheinlanden oder Herzogthümern bringt, und darin etwas leidlich Pikantes mitgetheilt wird: die Einführung eines neuen Banners für das fahnenfrohe Deutschland, oder das Versprechen eines tapfern Generals, mit seinem Leben für die ersten besten sieben Fuß Schleswig'scher Erde einzustehen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2015)

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