Damals schrieb Untugend der Ländergier

Wien, 2. März 1866. Gestern sollen in Berlin neuerliche Beschlüsse wegen derin Wien zur Herstellung des Definitivums in den Elbe-Herzogthümern zu machenden Vorschläge gefaßt worden sein. Wir haben also abermals zu erwarten, daß der preußische Versucher an uns herantritt, uns auf die Zinnen Europas führt, und uns alle die Herrlichkeiten zeigt, welche wir erlangen sollen, wenn wir vor ihm niederfallen und ihn als den Hegemon Deutschlands anerkennen. Man hat wol bis zur Stunde noch keine Ahnung davon, welche speciellen Anerbietungen uns gemacht werden sollen, doch glauben wir, daß es kaum gelingen dürfte, unsere Lüsternheit rege zu machen.

Das neue Oesterreich unterscheidet sich von dem alten wesentlich dadurch, daß es die Untugend der Ländergier fast gänzlich abgelegt hat. Wir wünschen nichts sehnlicher, als daheim zu bleibenund uns redlich zu nähren. Einzig ein Anbot wegen Schlesiens wäre vielleicht im Stande, unser Begehrungs-Vermögen zu wecken, weil dadurch eine historische Scharte Oesterreichs ausgewetzt würde. Ein solcher Anbot ist jedoch wol nicht zu erwarten, weil man in Berlin denken muß, daß durch denselben die vermeintliche Mission der Hohenzollern, allezeit Mehrer der preußischen Reiche zu sein, preisgegeben würde. Mit Geldentschädigungen wird man Oesterreich nicht locken können. Preußen hat wol „heidenmäßig viel Geld“, doch nicht so viel, um unsere Finanzschäden gründlich zu heilen, und was eine theilweise Erleichterung betrifft, so sind wir Oesterreicher zu leichtsinnig oder vielleicht zu abgehärtet, als daß wir unser Gemüth sonderlich damit beschweren sollten, ob Herr v. Beke um einige Monate früher oder später seine berühmten Reisen nach dem goldenen Vließ wieder aufnimmt.

Die Preußen sind jedoch sehr vorsichtige Geschäftsleute; sie haben ihr Interesse wohl im Auge, und bieten uns daher durch ihre öffentlichen Organe schon durch längere Zeit für unsern Antheil anSchleswig-Holstein einen Kaufpreis, der nicht ihnen gehört, den wir uns erst von Anderen holen müßten. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2016)

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