Österreichs Stellung in Holstein

Wien, 24. Mai 1866.V erschiedene norddeutsche Zeitungen bringen fort und fort Nachrichten, welche den Glauben erwecken sollen, daß die österreichische Brigade Kalik im Begriff stehe, Holstein zu räumen und nach Oesterreich zurückzugehen.

Die Bevölkerung des Herzogthums würde in solchem Falle nicht sich selbst überlassen bleiben, sondern der Einzug der Preußen würde dem Abzuge der Oesterreicher folgen und das Land seinen Peinigern wehrlos in die Hände fallen, ehe es Zeit gehabt, sich zum Widerstande zu organisiren. Eine solche Aussicht wäre allerdings danach angethan, die Bevölkerung mit berechtigter Erbitterung gegen Oesterreich und tiefer Entmuthigung zu erfüllen, und sie dahin zu bringen, das Landesrecht der preußischen Vergewaltigung preiszugeben. Zum Glück ist das Vertrauen der Bevölkerung Holsteins auf Oesterreich fester gegründet, als die Bismarck'schen Agenten vermuthen, und die preußischen Intriguen haben daher nur geringen Erfolg.

Gleichwol ist es geboten, selbst den geringsten Zweifel an Oesterreichs Politik in der Herzogthümer-Frage und an der militärischen Vertheidigung Holsteins bis zu seiner Ueberantwortung an den rechtmäßigen Fürsten zu beseitigen. Wir hoffendas zu erreichen, indem wir die Gründe hervorheben, welche vom Standpunkte des österreichischen Interesses das Verbleiben unserer Truppen in Holstein gebieterisch fordern.

Die Brigade Kalik hat nicht blos eine militärische Position in Holstein, sie repräsentiert das, wofür Oesterreich eintritt: die Großmachtstellung Oesterreichs in Europa, die Rechtsstellung Oesterreichs im Leben des deutschen Volkes, die Präsidialmacht-Stellung Oesterreichs im deutschen Bunde. Eine solche Stellung verläßt man überhaupt nie; die Uebermacht kann die Vertheidiger vernichten, aber freiwillig aufgeben dürfen und werden diese ihren Posten niemals. Mit dem Rückzug der Brigade Kalif wäre zwar nicht Oesterreichs materielle, wol aber seine moralische Macht in Frage gestellt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2016)

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