Damals schrieb Erfordert: eiserner Charakter

Wien, 3. November 1866.Graf Mensdorff hat heute seinen Nachfolger im Auswärtigen Ministerium eingeführt und sich von seinen Untergebenen verabschiedet. Graf Moriz Eszterhazy ist in den Ruhestand versetzt worden. Der ungarische Landtag wird, wie heute die „Wiener Abendpost“ bestätigt, zum 19. November einberufen werden. An alle drei Ereignisse des Tages ist das österreichische Volk berechtigt, Hoffnungen zu knüpfen; keines wird in irgend welchen Kreisen des Vaterlandes Bedauern wachrufen.

Wenn wir aber dem Grafen Mensdorffkeine Thränen nachweinen, so dürfen wir ihm doch das Anerkenntnis des redlichsten Willens, der uneigennützigsten Vaterlandsliebe nicht versagen. Der Ernst des ablaufenden Jahres erforderte an der Spitze unseres Auswärtigen Amtes einen eisernen Charakter. Graf Mensdorff's milder Sinn machte es ihm schwer, ein kräftiges Nein auszusprechen, das alle Netze zerrissen hätte, inwelche Clericale und Feudale jede seiner Actionen verwirrten. Graf Mensdorff war ein entschiedener Gegner des Krieges, und bot deshalb im Frühjahr seine Demission an. Daß er „als General und Unterthan“ auch da gehorsam war, wo er Unheil voraussah, und sein Entlassungsgesuch zurücknahm, daß er die Verantwortung für die furchtbaren Folgen einer Politik, die nicht die seinige, die ihm aufgedrungen war, auf seine Schultern lud, beeinträchtigt seinen staatsmännischen Ruf, raubt aber seinem Privatcharakter nichts an der allgemeinen Achtung. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.