Weil im Grunde alles Umbau ist

„Manchem erscheint es vielleicht hausbacken, den ,bloßen‘ Komfort des Benützers für einen gedanklichen Inhalt der Architektur zu nehmen. In Wahrheit muss sich gerade, wer dazu nicht bereit ist, einen inferioren Architekturbegriff vorwerfen lassen.“ Hermann Czech zum 80. Geburtstag: eine Textcollage.

Bitte fragen Sie nicht: Was ist Architektur? Die meisten Antworten haben das Potenzial, selbst Fachleuten den Blick zu trüben. Fragen Sie lieber: „Was kann die Architektur leisten?“ Hermann Czech, aus dessen umfangreichem publizistischem Werk diese und alle hier folgend zitierten Textstellen übernommen sind, umreißt die Grenzen der Architektur sehr klar: „Sie wird nicht unsere politischen, unsere sozialen, ja nicht einmal unsere Umweltprobleme lösen, so wenig wie die Musik unsere Lärmprobleme lösen wird.“

„In den 70er-Jahren glaubten Architekten noch, die Welt würde an ihren Utopien genesen. ,Architektur ist nicht das Leben. Architektur ist Hintergrund. Alles andere ist nicht Architektur‘, habe ich 1971 geschrieben. Das heißt aber nicht, dass sie unscheinbar sein muss, sie kann durchaus präzis oder markant sein. Hintergrund heißt auch, dass man sich daran lehnen kann — und dass er hält.“ Es wäre ein Wunder, hätte Hermann Czech da nicht an eine Haltbarkeit in mehr als einem Sinn gedacht. „Je dichter am Leben die Architektur bleibt, desto komplexer ist sie; ,einfach‘ kann sie nur werden, indem sie davon abhebt.“ Der Umgang mit Komplexität will jedoch gelernt sein. „Das Prinzip der Delegation – jedem Yuppie geläufig – kommt in der Bauherrensituation, die ja die meisten selten im Leben einnehmen, schwer an. Es bedeutet: vorgeben, was man will, aber nicht wie.Der Bauherr kann sich auf Überblick und Kontrolle zurückziehen, muss aber zugleich akzeptieren, dass die Lösung des Architekten etwas Unvorhergesehenes ist – übrigens ohnehin auch für den Architekten selbst.“

Diese Lösung ist allerdings nicht unvorhersehbar, weil sie das Produkt eines „Einfalles“ wäre. Im Gegenteil: Schon als Jugendlicher in den Salzburger Sommerakademie-Seminaren von Konrad Wachsmann darin geschult, Planungsentscheidungen auf methodischem Weg zu erarbeiten, sieht Hermann Czech „die formale Vorstellung nicht am Anfang, sondern am Schluss des Entwurfsprozesses“: „Es muss wohl jeder lernende Architekt eine Methodik finden, die es ihm zunächst erlaubt, auf vordergründig Hübsches, auf die Motive aus den Zeitschriften zu verzichten und eine gedankliche Basis zu gewinnen.“ Man muss also zu einem systematischen „Denken zum Entwurf“ gelangen: „Architekturtheorie, die bei Entwurfsentscheidungen helfen soll, kann nicht im Metaphorischen stehen bleiben. Sie muss bei der Ausbildung einer Ecke, bei der Wahl einer Farbe, bei der Form eines Handlaufs, bei der Vorstellung einer Stadt brauchbare Kriterien bieten. Fast alles hat mit alltäglichen Vorgängen, dem Befinden von Benutzern zu tun.“

Tatsächlich ist Hermann Czech an unterschiedlichste Bauaufgaben, den Wohnbau, den Schulbau oder den Hotelbau, die städtebauliche Studie, die Ausstellungsgestaltung oder an seine vielen Interventionen im kleinen und kleinsten Maßstab stets unter der Voraussetzung herangetreten, „konkret in der Situation und nicht abstrakt in Regeln zu denken“: „Das sind die tragenden Aspekte: Architektur als Hintergrund — Umbau — Heterogenität, die Triviales einschließt — und Komfort. Der Umbau ist ein architekturtheoretisch wichtiges Thema; vielleicht das zentrale überhaupt — weil im Grunde alles Umbau ist. Dabei stellt sich die Frage der Annäherung an das Vorhandene. Wird dem Vorhandenen ein Neues, Anderes entgegengesetzt, oder handelt es sich um eine Fortsetzung des Vorhandenen mit anderen (oder gar gleichen) Mitteln? Es scheint, dass der Umbau beides enthalten muss und dass die Fortsetzung des Vorhandenen in der Bildung einer neuen Einheit auf höherer Ebene besteht. In jedem Umbau gibt es Erfordernisse, die es nahelegen, gegen den Bestand zu operieren, ihn zu konterkarieren — gleichwohl oder gerade dann können der Bestand oder seine wesentlichen Gedanken spürbar bleiben.“

Sollten Sie, werte Leserin, geschätzter Leser, sich für die Diskussion architekturtheoretischer Feinheiten nicht erwärmen können: Der Komfort – oder vielmehr seine Abwesenheit – geht Ihnen sicher unter die Haut. Auch in dieser Hinsicht haben Sie in Hermann Czech einen leidenschaftlichen Verteidiger Ihrer Interessen: „Wenn die moderne Architektur mit der Verheißung angetreten ist, dass das Leben leichter würde, so hatte das zwei Tendenzen: Mit der entwickelten Technik würde uns alle unschöpferische Arbeit durch Maschinen abgenommen — und mit dem verpönten Ornament würde physisch und psychisch aller kulturelle Schutt wegfallen, der uns bei der Selbstverwirklichung im Wege lag. Wann ist diese umfassende Konzeption des Komforts eigentlich verloren gegangen? Komfortverlust ist die ärgerlichste Begleiterscheinung des Wandels. Wenn wir Architekten schon in jeder Generation das Rad neu erfinden müssen, sollten wir dazusehen, dass es nicht zunächst immer eckig ist.“

„Ich sehe mich nicht als Spezialisten der Gastronomie-Architektur.“ Viel näher liegen Hermann Czech zurzeit städtebauliche Fragen; etwa warum man in Wien gar so stolz darauf ist, die Blockstrukturen der Gründerzeit zu zerstören. „Aber es ist richtig, dass es kaum eine andere Aufgabe gibt, bei der man so direkt am Benutzer arbeitet und so unmittelbar Erfolg oder Misserfolg eines Konzepts oder eines einzelnen Gedanken registrieren kann. Themen, die in der Architektur oft nur symbolisch abgehandelt werden, etwa der Schwellenbereich des Eingangs, Licht und Dunkelheit, die räumliche Kommunikation, der Bezug zum menschlichen Maß (ob ich mein Glas noch auf ein Gesims stellen kann oder nicht) – all das kommt in einem Lokal ganz konkret und handfest vor. Trotzdem ist es immer eine Gratwanderung. Nur eine Ausstattungsfirma weiß vorher, wie das Lokal ausschauen wird – nämlich uninteressant. Das Unvorhergesehene muss sich zu etwas Selbstverständlichem verdichten, so selbstverständlich, dass dem Gast als höchstes Kompliment die Frage bleibt: Dafür haben Sie einen Architekten gebraucht?“

Diesen Schritt in den Hintergrund fordert Hermann Czech für alle Bauaufgaben ein. Dass er sich damit als Gegner einer „Star-Architektur“ positioniert, „von der ein Großteil dereinst sehr alt ausschauen wird“, erschreckt ihn nicht. „Manchem erscheint es vielleicht hausbacken, den ,bloßen‘ Komfort des Benützers für einen gedanklichen Inhalt der Architektur zu nehmen. In Wahrheit muss sich gerade, wer dazu nicht bereit ist, einen inferioren Architekturbegriff vorwerfen lassen.“

Hermann Czech feiert dieser Tage ein Jubiläum. Wenn Sie gratulieren wollen: Sie finden ihn in seinem Atelier in der Wiener Singerstraße – sollte er nicht gerade auf einer Baustelle unterwegs sein. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2016)

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