Immer mehr weniger

Wie sich mit freien Formen nicht nur Spektakel erzeugen lassen, sondern Raumfolgen, in denen man sich mit Genuss bewegt: zum Umbau des Römerbads in Bad Kleinkirchheim.

Im gehobenen Tourismus gilt schon seit Längerem die Regel: Weniger ist mehr. Das Spaßbad ist passé, die zahlungskräftige Kundschaft sehnt sich nach Ruhe und wertiger Entspannung. Am immanenten Konkurrenzdenken der Branche hat das nichts geändert. Sie wird zunehmend von der Vorstellung getrieben, ihren Kunden noch mehr weniger bieten zu müssen, ein Prozess, den man als beschleunigte Entschleunigung bezeichnen könnte.

Die Entstehung von guter Architektur grenzt unter derart schizophrenen Umständen an ein Wunder. Denn die Suche nach einer Architektur der Entschleunigung führt in der Regel zu einer faden Spätmoderne, die überall auf der Welt gleich aussieht: Eine späte Villa von Richard Neutra, dekoriert mit Stoffen und Möbeln von Giorgio Armani, beschreibt den Eindruck recht gut.

Wunder passieren trotzdem. Das berühmteste ist die Therme in Vals in Graubünden, 1996 nach einem Entwurf von Peter Zumthor errichtet. Sie nimmt den monumentalen Baugedanken des römischen Bades auf, ohne auch nur ein einziges Stilelement der Antike zu zitieren. Dem Weniger an formaler Aufregung entspricht hier tatsächlich ein Mehr an Intensität, ganz im Sinn von Ludwig Mies van der Rohe, von dem die Formel „less is more“ ursprünglich stammt. Die Therme in Vals hatte für die Freizeitarchitektur dieselben Folgen wie das Guggenheim-Museum in Bilbao für den Museumsbau. Die Betreiber erwarten sich bei einem derartigen Projekt von der Architektur nicht mehr allein die Erfüllung funktioneller Anforderungen, sondern eine Umwegrentabilität in Form gesteigerter medialer Aufmerksamkeit. Für die Architektur ist das prinzipiell ein Vorteil: In einem produktiven gegenseitigen Missverständnis dürfen Architekten annehmen, dass ihre Auftraggeber endlich bereit sind, sich für die Sache Architektur zu engagieren, und die Bauherren vertrauen ihrerseits auf die angebliche Gier der Architekten, sich selbst ein Denkmal zu setzen. Der Vorteil besteht darin, dass bei der Auswahl der Architekten eher auf Konkurrenz statt auf Freunderlwirtschaft gesetzt wird und dass die Budgets für derartige Bauaufgaben durch die Einbeziehung der Umwegrentabilität in die Kalkulation erhöht wurden. Da diese Rentabilität zumindest im Vorhinein nie exakt zu errechnen, sondern ein Fantasieprodukt ist, gab es zumindest in Zeiten der Hochkonjunktur einen schönen Spekulationsspielraum nach oben, sofern sich die Bauherren von der den Architekten unterstellten Idee des Denkmalsetzens anstecken ließen.

Den Betreibern der Therme in Bad Kleinkirchheim in Kärnten waren diese Zusammenhänge durchaus vertraut, als sie 2005 begannen, die Erweiterung ihrer bestehenden Anlage aus dem Jahr 1979 zu planen. Der Ort ist vollständig vom Tourismus abhängig: 1900 Einwohnern stehen 8000 Gästebetten gegenüber, die Region zählt 450 Beherbergungsstätten und 800.000 Übernachtungen pro Jahr. Die alte Therme ist als eines der ersten Erlebnisbäder in Österreich thematisch konzipiert („ge-themed“ würde das im Neusprech der Tourismusberater heute heißen) und präsentiert sich als „Römertherme“. Das ist nicht unbedingt originell, aber dass die Römer etwas vom Baden und Thermenbauen verstanden, darf bei den Gästen vorausgesetzt werden.

Die Anlage von 1979 zeichnet sich durch interessante Symptome von Schizophrenie aus: Im Inneren findet sich eine große, organisch geformten Badelandschaft, die das Flair der 1970er-Jahre vermittelt und auch bei der aktuellen Erweiterung liebevoll erhalten wurde. Nach außen gibt sich das Thermengebäude aber mit kraftvollen, massiven Bögen einen „römischen“ Touch, der zugleich eine bestimmte Tradition des Bauens in den Alpen zitiert, wie sie in den 1920er- und 1930er-Jahren vor allem in Tirol entwickelt wurde. Es ist kein Zufall, dass die Architekten Michael und Hubert Prachensky aus Innsbruck stammen, wo sich etwa in den Stationen der Hungerburgbahn von Franz Baumann ähnliche Themen finden lassen: massive, abgeschrägt aus dem Boden wachsende Wände mit großen eingeschnittenen Bögen. Was bei Baumann aber frei gestaltete, expressive Form ist, wird in der Therme – quasi klassisch-römisch – als repetitives Element eingesetzt.

Dem Projekt für Erweiterung lag ein umfassendes touristisches Konzept zugrunde. Da die therapeutischen Angebote in die nahe, demselben Betreiber gehörende Therme in St. Kathrein ausgelagert wurden, sollte sich das „Thermal Römerbad“ primär auf den Wellnessbereich konzentrieren. Die große Wasserlandschaft aus dem Jahr 1979 sollte in ihrer Dimension erhalten bleiben und durch Saunabereiche, Ruhebereiche und eine Anzahl kleinerer Wasserbecken ergänzt werden. Nach dem Umbau steht der annähernd gleichen Zahl an Besuchern fast die doppelte Fläche zur Verfügung, die – entsprechend dem Kleinkirchheimer Slogan „Von den Pisten in die Thermen“ – im heißen Wasser und Dampf Erholung von der sportlichen Anstrengung findet.

Den Wettbewerb des Jahres 2005 gewannen Behnisch Architekten mit einem Konzept, das sich durch einen klugen Umgang mit dem Bestand auszeichnet. Die aus Kreissegmenten aufgebaute Geometrie der alten Therme wird aufgenommen und frei in die Landschaft transformiert, durch Anbauten an beiden Seiten entsteht eine neue Großform, die im Hang zu schweben scheint und in der Mitte die bestehenden massiven Bögen umarmt. Die drei Etagen des Bestands werden fortgeführt, wodurch im Inneren Alt und Neu nahtlos zusammenpassen. Alles hat hier Namen: die drei Etagen heißen Romanum, Noricum und – wie könnte es ganz oben anders sein – Maximum, die 13 Saunen unter anderem Agrippa, Trajanus und Neptun. Für jeden Bereich wurde von Bartenbach Lichttechnik eine spezielle Beleuchtung konzipiert und von einem Geruchsdesigner ein spezieller Duft, der über die Klimaanlage eingeblasen wird.

Architektonisches Herzstück des Zubaus ist ein Atrium mit geschwungener Treppe, die auf die Dachterrasse führt. Behnisch Architekten, die eine Generation früher auch die Dächer für das Olympiastadion in München geplant haben, beweisen hier, dass sich mit freien Formen nicht nur Spektakel erzeugen lassen, sondern Raumsequenzen, in denen man sich tatsächlich mit Genuss bewegt.

Dass die Zukunft des Tourismus nicht zuletzt von Innovationen dieser Art abhängt, haben auch die Touristiker längst begriffen. In Kärnten hat sich vor Kurzem im Umfeld des dortigen Hauses der Architektur unter dem Titel „kalt & warm“ eine Initiative gebildet, die den öffentlichen Diskurs zum Thema fördern möchte. Fokussiert auf die Alpen-Adria-Region, wird es um Bauen und Wasser gehen, von der Therme bis zu Gestaltung der Seeufer, gerade in Kärnten ein heißes Thema. Die Auftaktveranstaltung ist am 17.November. Man darf gespannt sein, ob sich Kärnten zum Hotspot der Tourismusarchitektur entwickeln kann. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2009)

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