Wein und Wiese

Um die Abwanderung ins Umland zu stoppen, hat die Wiener Wohnbaupolitik eine „Neue Siedlerbewegung“ ins Leben gerufen. Und damit Raum für ambitionierte Architektur und Freiraumgestaltung geschaffen.

Um Wiener Jungfamilien vom Abwandern in Einfamilien- und Reihenhäuser im Umland abzuhalten, hat die städtische Wohnbaupolitik die „Neue Siedlerbewegung“ ins Leben gerufen. In den durchgrünten Gegenden vornehmlich des 21. und 22. Bezirkes entstanden unter diesem Titel etliche Siedlungen, die mit ambitionierter Architektur, Freiraumgestaltungen auf höherem als dem üblichen Niveau und mit guten Ideen zur Förderung der Gemeinschaft punkten können. Wiewohl „Neue Siedlerbewegung“ marketingtechnisch gewiss schlauer ist als ein einfallslos schlichtes „Wohnen im Grünen“, so fehlt der neuen Siedlerbewegung in jeder Hinsicht der visionäre Charakter ihrer aus einer Selbsthilfebewegung entstandenen historischen Namensvetterin aus der Zwischenkriegszeit. Allesamt sind die aus Bauträgerwettbewerben hervorgegangenen Gartensiedlungen jedenfalls qualitativ weitaus erfreulichere Erscheinungen als das, was sich in den unmittelbaren Nachbarschaften abspielt. Die wahre neue Siedlerbewegung manifestiert sich in nächster Nähe: Von findigen Baumeistern und Hausbau-Firmen auf das erlaubte Maximum aufgeblasene Häuser stehen dicht an dicht als Realität gewordene Alpträume vom eigenen kleinen Schloss auf der Gartenparzelle, für das Jungfamilien ihre gesamte Kauf- und Arbeitskraft verschwenden.

Dass Urbanität mit privatem, attraktivem gemeinschaftlichem Freiraum durchaus vereinbar ist, zeigt die 47 Wohnungen und zwölf Gartensiedlungshäuser umfassende Siedlung der Ganahl-Ifsits Architekten, eine von mehreren im Rahmen der „Neuen Siedlerbewegung“ errichteten Anlagen zwischen Hirschstetten und Breitenlee. Hanno Ganahl und Walter Ifsits zählen zu den routinierteren Wiener Wohnbauern. Ihre Architektur zeichnet sie dadurch aus, dass sie ohne großes Getöse auskommt, dafür aber viel Grips für interessante Wohnungstypologien und sinnvolle städtebauliche Lösungen aufgewandt wird.

Entlang der Ziegelhofstraße und der Pichlgasse situierten sie eine Blockrandbebauung, die an der Ecke durchbrochen ist, um eine bessere Harmonie mit der dahinterliegenden lockereren Bebauung herzustellen. Sie beherbergen einen Mix aus reihenhausähnlichen zweigeschoßigen Wohnungen mit Mietergärten sowie Geschoßwohnungen und Maisonetten mit Terrassen und Dachgärten, die geschickt gestapelt zwei angenehm proportionierte und gegliederte Baukörper von hoher Anmut ergeben. Die hochgezogenen massiven Brüstungen der Terrassen gewähren Intimität, Leichtbauwände im gleichen Anthrazit wie die Türen und Fensterrahmen trennen die privaten Freibereiche zwischen den Wohnungen. Die skulpturale Durchbildung der Baukörper mit Vor- und Rücksprüngen bringen zugleich praktischen Nutzen wie gedeckte Vorbereiche und Terrassenflächen.

Die Gemeinschaftseinrichtungen liegen inden verglasten Erdgeschoßzonen, dort, wo im Freibereich zwischen den beiden Riegeln ein kleiner Platz als Entree in die Anlage ausgebildet wurde. Dem Gemeinschaftsraumist eine teils überdeckte Holzterrasse mit integrierter beschatteter Sandkiste vorgelagert. Die Waschküche schließt nur durch eine Glaswand, die mit den Vornamen aller Bewohner versehen ist, getrennt daran an. So entstehen, ohne dass große Vereinbarungen und Umwege notwendig sind, im Alltag gut nutzbare Begegnungszonen und Aufenthaltsbereiche außerhalb des privaten Wohnbereichs. Das mögen Kleinigkeiten sein, selbstverständlich sind sie nicht, und der Wohnqualität sind sie allemal förderlich.

Die zwölf Häuser sind in zwei parallelen Zeilen angeordnet. Entlang der östlichen Grundstücksgrenze sind es Reihenhäuser, um durch die gekuppelte Bauweise dem Areal eine Fassung und einen Abschluss zum umgebenden Wirrwarr zu geben. Über den Eingängen kragen die Obergeschoße als markante, leicht abgeschrägte Kuben weit aus. Eine Etage höher geben sie der Terrasse des jeweiligen Nachbarn Rückendeckung.

Die innere Zeile besteht aus ebenfalls zweigeschoßigen, aber frei stehenden Haustypen mit Garten und Terrasse im zurückgestaffelten Obergeschoß. Alle Haus- und Wohnungstypen haben gute Grundrisszuschnitte, die frei von exaltierten Extravaganzen gut bespielbar sind.

„Wohnen im Weinspalier“ lautet der Projekttitel. Namensgebend dafür ist der markanteste Teil der Freiraumgestaltung, die von Jakob Fina gemeinsam mit „Rajek Barosch Landschaftsarchitektur“ konzipiert wurde und die sich in Form von mit Wegrandpflanzen bewucherten Streifen schon an der Straßenseite ankündigt. Das Herz des Freibereichs nimmt ein Weingarten ein, dessen Reben zwischen akkurat gesetzten Stahlprofilen aufgezogen werden. Abgerundet wird das Weinthema durch einen Sitzplatz unter einer Laube und einen vom Garten aus zugänglichen Weinkeller. Für eine weitere landwirtschaftliche Betätigung stehen dazumietbare Gemüsebeete samt Gartenhütten zur Aufbewahrung von Gerätschaften oder Sämereien bereit. Außer der Privatstraße zwischen den zwei Häuserzeilen, gibt es kein Wegesystem, das durch die Anlage führt. Nur Rasen- und Wiesenflächen strukturieren gemeinsam mit den Beeten und Rebzeilen den Raum zwischen den Gebäuden.

Die möglichen Nutzungsszenarien scheinen noch nicht völlig bis zu den Mietern durchgedrungen zu sein. Weder wurden in der vergangenen Saison die Beete bestellt, noch dürfte es Aktivitäten im Weinkeller geben. Damit das Angebot im Sinn seiner Erfinder genutzt wird, bedarf es einer Moderation, das war den Architekten von Anfang an klar. Und so hofft man nun allseits auf eine baldige Veranstaltung, um Ideen und Handlungsanweisungen zur Nutzung des Zusatzangebots zu kommunizieren, damit nicht auch in der zweiten Saison die Ernte ausbleibt. Die innen wie außen bereitgestellten Räumlichkeiten scheinen durchaus dazu geeignet, für eine selbstverwaltete Bespielung die notwendige Robustheit und Flexibilität zu haben.

Im Wildwuchs von Suburbia sind Anlagen wie diese Oasen der Erholung. Den Bewohnern ist dies deutlich bewusst, denn schon kommt das Bedürfnis nach einer besseren Abschottung zum Umfeld auf, um die Idylle zu schützen, weil nun auch schon Anrainer der Attraktivität der Freiräume in der Siedlung am Weinspalier gewahr wurden. Das ist vielleicht eines der besten Komplimente, macht aber auch deutlich, wie wichtig brauchbar gestaltete Parkanlagen als Aufenthaltsort für Kinder und Jugendliche auch am Stadtrand sind. Rasenstreifen hinter Thujenhecken sind zwar auch grün, sie ersetzen aber weder Wald und Wiese noch den Stadtpark. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2009)

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