Wenn der Komet einschlägt

Der Wiener Stadtentwicklungsplan 2005 nennt 13 Zielgebiete, zu denen auch das Wiental gehört. Geplant sind dezentere Maßnahmen wie ein Wiental-Radweg und Kunstprojekte, aber auch massivere – vom Hochhaus bis zum Einkaufszentrum.

Stadtplanung ist ein Geschäft für Menschen mit hoher Frustrationstoleranz und einem leichten Hangzur Schizophrenie: Auf der einen Seite steht die Überzeugung, Zukunft gestalten zu können, auf der anderen der nagende Verdacht, dass die Zukunft ganz anders aussehen wird, als man es geplant hat.

Als die Wiener zur Jahrhundertwende begannen, das Wiental vom Naschmarkt stadtauswärts in eine Prachtstraße zu verwandeln,die bis zur kaiserlichen Residenz in Schönbrunn reichen sollte, ahnte niemand, wie balddieser Plan ein abruptes Ende finden würde. Zwar verdanken wir ihm eine Reihe außergewöhnlicher Bauten, deren prominenteste die Majolikahäuser von Otto Wagner sind, aber nach 1918 scheint hier kein Bauherr vonbesonderen architektonischen Ambitionen geplagt worden zu sein. Jede Epoche seither hat beiderseits des kanalisierten Wienflusses, der sich sein Bett mit der U-Bahn-Linie U6 teilt, Bauten von kaum überbietbarer Gleichgültigkeit hinterlassen. Auch am Gürtel, einer anderen Hauptschlagader der Stadt, gibt es hässliche Hotels und gedankenlosen Wohnbau, aber zu jedem negativen Beispiel dort lässt sich im Wiental ein anderes finden, das noch peinlicher ist.

Die Gründe dafür liegen nicht zuletzt in einer nach 1918 veränderten Haltung zur städtischen Infrastruktur. Otto Wagner, der selbst die Regulierung des Wienflusses und den Bau der damaligen Stadtbahn mit ihren Brückenbauwerken von der architektonischen Seite her konzipierte, sah in der Nachbarschaft zu dieser technischen Infrastruktur keineswegs einen Widerspruch zur Idee einer Prachtstraße. Der funktionalistische Städtebau der Moderne setzte dagegen auf die strikte Funktionstrennung von Wohnen, Arbeiten, Erholung und Verkehr. Ein Verkehrsband wie das Wiental galt ihm per definitionem als minderwertiger Standort. Wer hier baute, rechnete mit niedrigen Mieten, sparte bei der Ausführung und holte sich seinen Gewinn durch die günstigen Grundstückskosten.

Vor diesem Hintergrund erklärte die Stadt Wien in ihrem Stadtentwicklungsplan 2005 das Wiental zu einem von 13 sogenannten „Zielgebieten“, deren Aufwertung sie sich in den nächsten Jahren besonders widmen würde. Planerisch interessant an dieser Festlegung ist, dass das Wiental die üblichen Einteilungen der Stadtverwaltung sprengt: 14,6 Kilometer fließt die Wien durch die Stadt, berührt oder durchquert dabei neun Bezirke und hat eine halbe Million Anwohner.

Auf Initiative einer Arbeitsgruppe, die von den zum Wohnbauressort gehörenden Gebietsbetreuungen der angrenzenden Bezirke 2007 gegründet wurde, fand kürzlich in der Wiener Urania ein Symposium über „Urbane Flusslandschaften“ statt. Neben den zuständigen Vertretern der Stadt waren auch internationale Gäste geladen, die über Projekte zur Transformation städtischer Infrastrukturen berichteten, etwa den Rückbaudes Cheonggyecheong-Flusses im Koreanischen Seoul und den 14 Kilometer langen Parque Lineal de Manzanares in Madrid, der nach den Plänen der holländischen Landschaftsplaner West 8 durch die Tieferlegung und Überplattung einer Madrider Stadtautobahn entstanden ist. Das Cheonggyecheong-Projekt ist im Vergleich dazu ein noch radikalerer Eingriff, da hier zu Projektkosten von rund 600 Millionen Euro eine zweigeschoßige Autobahn, die einen Flusslauf zugedeckt hatte, abgerissen und der Flusswiederhergestellt wurde. Begleitend dazu erfolgte eine Umleitung und Reduktion des gesamten städtischen Individualverkehrs.

Zu den Maßnahmen, die in Wien bisher zur Aufwertung des Zielgebiets geplant wurden, gehört der Wiental-Highway, ein „rot-grünes“ Projekt, das vor allem Radfahrern den Flussraum erschließen soll. 2010 soll um4,8 Millionen Euro ein 3,5 Kilometer langes Teilstück vom Hackinger Steg bis zur Kennedybrücke errichtet werden. Auf der Ebene der Stadterneuerung mit Förderungsmitteln hat die erfolgreiche Basisarbeit der letzten 20 Jahre inzwischen einen deutlichen Anstieg des frei finanzierten Wohnbaus in den Bezirken 4, 5 und 6 bewirkt und wird ihren Schwerpunkt in Zukunft stadtauswärts verlagern können. Dazu kommen zahlreiche Events der Gebietsbetreuungen, vom Filmfestival im Bruno-Kreisky-Park bis zu künstlerischen Projekten: Die „Reise der Steine“, ein als Kunst im öffentlichen Raum gefördertes Projekt, soll nächstes Jahr Dutzende metergroße Steine aus Porenbeton auf eine sechsmonatige Reise von der Stadtgrenze bis zur Einmündung der Wien in den Donaukanal schicken.

Während dieses Projekt das Wiental durch Erhöhung der Aufmerksamkeit aufwerten möchte, betreibt das größte Neubauprojekt – eine Kombination von 78 Meter hohem Büroturm, Hotel und Einkaufszentrum auf den „Komet-Gründen“ bei der U4-Station Meidling – Stadterneuerung mit der Brechstange. Hier wird außer dem Bankkonto der Projektbetreiber und Planer wohl nicht viel aufgewertet, dafür ein maßgeblicher Punkt im Wiental mit durchschnittlicher Architektur verstellt.

Ebenfalls hoch, aber stadtstrukturell wesentlich besser begründet ist ein Büro- und Wohnhaus bei der Station Kettenbrückengasse, entworfen von Elsa Prochazka. Es sollte mit 34 Meter Höhe der Typologie der Prachtstraßenbauten der Monarchie folgen, die in der Nachbarschaft mit ihren Dachaufbauten dieselbe Höhe erreichen. Im soeben aufgelegten Bebauungsplan wurde die Bauhöhe in vorauseilender Beschwichtigung des zu erwartenden Protests um zwei Geschoße reduziert, was die Proportion des Entwurfs schwächt und die Wirtschaftlichkeit des schmalen Bauwerks in Frage stellt. Dass die Stadt hier Angst vor dem eigenen Mut bekommen hat, ist symptomatisch. Als bürgernah gilt, möglichst nichts am Stadtbild zu verändern, ein bisschen mehr Grün, Events im öffentlichen Raum. Und wenn zwischendurch der Komet einschlägt, schautman lieber weg: Das Projekt auf dem gleichnamigen Areal fand während des Symposiums in keinem der zahlreichen Vorträge der städtischen Repräsentanten Erwähnung. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.