Damals schrieb

Mangel an Voraussicht

Wien, 23. August 1867. Daß Kaiser Napoleon die Integrität Süddeutschlands in Salzburg betonte, unterliegt keinem Zweifel.

Die Anstrengungen des Preßbureaus, welches in Reichenhall angelegt wurde, können die Sache nichts wahrer machen als sie ist, und die geharnischtesten Dementis der österreichisch-französischen Bureaux würden nimmermehr vermögen, den Glauben an die Wahrheit des Gesagten zu erschüttern.

Warum legt Napoleon, der die süddeutsch-preußischen Schutz- und Trutzverträge verschluckte und zu keinem Angriffspunkte machen will, so großes Gewicht auf den Nichteintritt Darmstadts, Badens, Württembergs und Baierns in den Norddeutschen Bund? Dies kommt daher, weil dieser Eintritt eine Verletzung des Prager Friedens wäre, als daß Napoleon nicht riskiren müßte, Vorwürfe über seinen Mangel an Voraussicht sich von Neuem zuschleudern zu lassen. Ueberdies weiß jeder practische Politiker, daß die intimsten Verträge die Wurzel der Selbstständigkeit der süddeutschen Staaten nicht gefährden würden. Die alten Herrscher von Baiern, Württemberg etc. pactirten nicht blos mit Napoleon I., sie stellten ihm sogar bereitwilligst Hilfstruppen; dennoch fielen sie zur rechten Stunde von ihm ab. Dieses Spiel, meint man in der Residenz zu Salzburg, könne sich wiederholen, und darum müssen die zwei Großherzoge und die zwei Könige den Nimbus ihrer Selbständigkeit bewahren, die nicht erheblicher ist als die Richtung einer Windfahne. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2017)

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