Wein, Löss, Landschaft

Keine der protzigen Kubaturen, wie sie anderswo aus den Weinbergen wachsen. Sondern ein Zeugnis des Respekts vor Landschaft und Dorfkultur: die Gebietsvinothek in Kirchberg am Wagram.

Dass repräsentative Gebäude der Vermarktung des Rebensaftes nichtabträglich sind, hat Tradition. Ob die imposanten Chateaux der Franzosen oder deren moderne Versionen – die um die Jahrtausendwende entstandenen Weingüter internationaler Stararchitekten ebenso wie die architektonischen Ambitionen in ostösterreichischen Winzerhöfen: Ein repräsentatives Umfeld zu schaffen und bauliche Zeichen zu setzen gehört für viele Weinmacher zum guten Ton.

Vor ziemlich genau vier Jahren ging im Architekturzentrum Wien die Ausstellung „WeinArchitektur – Vom Keller zum Kult“ zu Ende, die einen so gut wie vollständigen Überblick über die österreichische zeitgenössische Architektur im Auftrag von Winzerfamilien bot. Das Gros der Beispiele stammte aus dem Burgenland, dicht gefolgt von der Südsteiermark. Die Entscheidung, in signifikante Architektur zu investieren, haben die diesen Förderzielgebieten zugestandenen EU-Gelder, mit denen bis zu 30 Prozent des Investitionsvolumens abgedeckt werden konnten, gewiss erleichtert. Ein Ende des Architekturbooms ist in der Weinszene noch nicht zu erkennen, und mit Verzögerung scheint nun auch in Niederösterreich die Paarung Wein und Architektur an Exotenstatus zu verlieren.

Eines der bemerkenswertesten Weingebäude der jüngsten Vergangenheit ist in einer ebenso bemerkenswerten Gegend zu finden. Das Wiener Architektenteam gerner°gerner plus hat in Kirchberg am Wagram eine Gebietsvinothek realisiert. Für den namensgebenden Banal-Marketingslogan „In Wagram Weritas“ – können die Architekten nichts, das Gebäude ist aber wahrlich dazu angetan, dem Ort und der Region nicht nur im Hinblick auf Weinmarketing und Tourismus gute Dienste zu leisten, sondern scheint schon jetzt, einige Monate nach Eröffnung, ein wichtiger Identifikationsfaktor für die Bevölkerung zu sein.

Der Wagram, eine aus sandigem, mineralreichem Löss bestehende Geländeformation nördlich der Donau, zwischen Krems und Stockerau gelegen, bietet klimatisch und geologisch allerbeste Bedingungen für den Weinbau. Engagierte Winzer und Winzerinnen nutzten in der jüngeren Vergangenheit diese Voraussetzungen und weckten die regionale Weinszene – vor allem mit den Hauptsorten Grüner und Roter Veltliner – aus dem Dornröschenschlaf. Mit auffällig schicken Gebäuden haben sie sich bislang zurückgehalten. Die Energie floss vor allem in die Qualitätssteigerung und Markenpflege. Seit 2007 ist die Region Wagram – einst unter der wenig eindeutigen Bezeichnung Donauland gemeinsam mit Klosterneuburg geführt – ein eigenständiges Weinbaugebiet. Die besten Winzer der Region – immerhin 54 – präsentieren und vermarkten nun unter einem gemeinsamen Dach im wortwörtlichen Sinn ihre Weine.

Spätestens seit ihren Bauten für die burgenländischen Weingüter Wellanschitz und Hillinger zählen Andreas und Gerda Gerner zu den in der Weinszene etablierten Baukünstlern. Große Gesten und gewagte Konstruktionen sind ihnen nichts Fremdes. Bei der Kirchberger Gebietsvinothek hingegen punkten sie in erster Linie nicht mit dem offensichtlich Spektakulären, sondern mit Gespür und Umgang mit dem Ort und seinen topografischen Eigenheiten.

Weil Gemeinden, besonders die landwirtschaftlich geprägten kleinen, sparsam sein müssen, ist es schlau, wenn Funktionen gebündelt werden. Und so wünschte man sich ins „Weritas“ nicht nur eine Vinothek mit Platz für Lagerhaltung, Degustation und Verkauf, sondern auch Flächen für einen Gastronomiebetrieb, ein Tourismusbüro undVeranstaltungsräume. Nicht nur den Fotos nach, auch noch vor dem Gebäude stehend, erschließt sich nicht gleich, wo und wie all diese Funktionen in einem so kompakt und klein scheinenden Gebäude Platz finden.

Der Bauplatz, im Wesentlichen ein Park mit altem Baumbestand nächst dem Ortskern fällt nach Westen etwa zehn Meter steil in einen Graben ab. Die Architekten situierten den zweigeschoßigen Baukörper im Süden der zur Verfügung stehenden Fläche, scharf an der westlichen Hangkante. Das Parkgelände wurde derart modelliert, dass es vom bereits bestehenden Parkplatz zum verglasten Erdgeschoß sanft überleitet und das Gebäude quasi in der Umgebung aufgeht. Die Bäume durften im Mutterboden bleiben. Durch die Fugen der schützenden Baumscheiben blickend, lässt sich das ursprüngliche Geländeniveau noch erahnen.

Das an drei Seiten raumhoch verglaste Hauptgeschoß weist einen Rücksprung auf, dem entlang die Zugangsrampe unter Dach ins Innere leitet. Ähnlich logisch und die Ergonomie der vinophilen Kundschaft berücksichtigend geht es weiter. An die Rückwand schmiegen sich in einem Guss hinterleuchtete Präsentationsflächen für die besten Rebsäfte der Gegend, ausziehbare Tablare und Laden, dann ein kleiner Knick und das wandintegrierte Möbel geht in eine Sitzbank über. Dahinter öffnet sich ein mit einer tiefer Laibung versehenes Südfenster in die Landschaft. In der Mittelachse des Raumes zoniert ein Barmöbel den Raum in einen Degustations- und Verkaufsbereich und einen vom „schnellen Geschäft“ unbehelligten Restaurantteil mit 30 locker arrangierten Sitzplätzen. Im schmäleren, östlichen Bereich liegt auf gleicher Ebene das Tourismus- und Regionalbüro.

Die Bar umfängt auch den Abgang ins Untergeschoß, wo die Seminarräume nach Westen über die gesamte Fassadenfläche mit Ausblick in die Weingärten gesegnet sind. Introvertierter, weil ins Gelände integriert, befinden sich hier auch die Küche und das Herz des Hauses, das Weinlager, in dem 108 regionale Weine als Hauptdarsteller kein großes Bühnenbild brauchen, sondern, schlicht in Regalen gestapelt, auf die – wie man erzählt – eifrig anströmende Kundschaft warten.

Es sind nicht nur Weinliebhaber von auswärts, die das Haus frequentieren. Es braucht gar kein besonderes Glück, um den einen oder anderen Winzer im Restaurant anzutreffen, und wie es scheint, wurde das Weritas auch zu einem beliebten Ausgeh-Ort für die lokale Bevölkerung.

Kein Wunder. Denn so neu und gewagt diese Architektursprache in der Gegend auchsein mag, die Gebietsvinothek fremdelt nicht. Sie hat keine Gemeinsamkeiten, mit den riesigen Kubaturen, die anderswo aus den Weinbergen wachsen, marktschreierisch vom Prestige ihrer Bauherren und deren Weinen künden und dabei wenig Respekt vorLandschaft und Dorfstruktur zeigen. Den Architekten gelang ein Gebäude, das die feinen Tropfen vieler unterschiedlicher Winzer adäquat präsentiert, in dem ein Sonntagnachmittagskaffee ebenso Freude macht wieein abendliches Diner, wo sich architekturgeeichte Städter ebenso wohlfühlen wie bodenständige Winzer. Kein Firlefanz, nur angenehme Räume und schöne Aussicht.

Zur Info für alle Bürgermeister und Bürgermeisterinnen: Man bekommt so ein Gebäude, wenn man einen ordentlich vorbereiteten Wettbewerb ausschreibt, zu dem man fähige Architekturbüros einlädt. Ganz einfach, oder? ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2010)

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