Orgien, Mysterien, nüchtern gerahmt

Kunst des Wiener Aktionismus: Die Sammlung Friedrichshof im Burgenland hat ihre Bestände neu arrangiert und sich von Adolf Krischanitz ein Minimalmuseum dafür errichten lassen.

Das Nordburgenland gilt unter Alpenbewohnern als Deprivationslandschaft, deren größter Reiz in ihrer völligen Reizlosigkeit besteht. Dass ausgerechnet hier, in Zurndorf, ein paar Autobahnminuten vom wild wuchernden Designer-Outlet in Parndorf entfernt, seit 30 Jahren eine der besten und ursprünglich auch umfangreichsten Sammlungen von Kunst des Wiener Aktionismus zu sehen ist, hat eine besondere Geschichte. Der Ursprung der Sammlung, die über 100 Arbeiten von Günter Brus, Hermann Nitsch, Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler enthält, geht auf die Zeit zurück, als Zurndorf Sitz einer Kommune war, die sich um Otto Muehl gebildet hatte. Die Kommune war ein Experiment einer radikal-utopischen Lebensform, das sich an den amerikanischen Westcoast-Kommunen, aber auch an der Kibbuzim-Bewegung und an den großen Sozialexperimenten des 19. Jahrhunderts orientierte. Sie erwarb ab 1972 erste Gebäude auf dem Areal des Friedrichshofs, eines ehemaligen Landguts, und errichtete im Lauf der Jahre weitere Anlagen, unter anderem einen eher anspruchslosen Werkstättentrakt, in dem auch die Kunstsammlung untergebracht wurde.

Die Verurteilung Otto Muehls zu sieben Jahren Haft wegen sexuellen Missbrauchs von Unmündigen 1991 hat die öffentliche Wahrnehmung der Kommune bis heute bestimmt. Der Ermittlungen gegen Muehl wurden bereits 1987 aufgenommen und hatten die autoritäre Struktur der Kommune bereits so weit aufgeweicht, dass sie sich schon 1989 in eine Genossenschaft umwandelte, in der die beträchtlichen, nicht zuletzt durch Brokertätigkeiten von Mitgliedern erwirtschafteten Vermögenswerte eingebracht wurden. Die Genossenschaft überlebte die offizielle Auflösung der Kommune 1990 und blieb auch Eigentümerin der Kunstsammlung, die ursprünglich weit umfangreicher war.

Im Lauf der Jahre wurden Teile verkauft, zuerst an die Sammlung Essl, dann an die Sammlung Leopold und schließlich ans Wiener Museum Moderner Kunst (MuMoK),wo sich heute die umfassendsten Bestände zum Wiener Aktionismus befinden.

Dass gerade heuer eine Neuaufstellung der Sammlung unternommen wurde, mag mit dem 20-jährigen Jubiläum der Auflösung der Kommune zu tun haben, deren ehemalige Mitglieder vorsichtig in Erinnerung rufen wollen, was die Kommune für sie bedeutete: ein Leben nach den Prinzipien von „gemeinsamem Eigentum, freier Sexualität ohne feste Paarbeziehungen, kollektivem Kinderaufwachsen und direkter Demokratie“.

Beim 20-Jahr-Fest am Friedrichshof waren 400 ehemalige Kommunarden anwesend, ein Zeichen dafür, dass die Zeit für eine differenzierte Aufarbeitung der Geschichte der Muehl-Kommune gekommen ist. Im offiziellen Pressetext zur Neuaufstellung der Kunstsammlung ist wohl nicht zufällig ein interdisziplinäres Forschungsprojekt angekündigt, das untersuchen soll, wie eine anarchistisch-libertinäre Gruppe in ein autoritäres System kippen konnte. Die Ansätze für eine Erklärung werden gleich mitgeliefert: Man hätte die Komplexität des Vorhabens unterschätzt, dem um eine Generation älteren Muehl zu viel Bewunderung geschenkt und damit zu dessen Selbstüberschätzung beigetragen. Explizit „distanziert sich die Sammlung Friedrichshof von den Verfehlungen Muehls, bedauert das entstandene Leid und ist bestrebt, die Opfer bei der Bewältigung des Geschehenen zu unterstützen.“ Zugleich wird aber auch der Gesinnungswandel Muehls anerkannt und dessen Bemühen um Versöhnung, das in einem jüngst veröffentlichten Entschuldigungsschreiben zum Ausdruck komme.

Kunst des Wiener Aktionismus zu sammeln war für die Kommune nahe liegend, nicht nur weil Muehl zu dessen Exponenten gehörte, sondern auch, weil die Kommune in Anspruch nehmen konnte, den künstlerischen Aktionismus in eine gesellschaftspolitische Praxis umgesetzt zu haben, während die individuellen Künstler zwar einiges an politischer Reaktion auslösten, aber letztlich Reibebäume im geschützten Garten der Kunstproduktion bleiben mussten. Als die Sammlung Friedrichshof ab 1980 durch den in der Kommune lebenden Künstler Theo Altenberg aufgebaut wurde, war der Aktionismus selbst bereits Teil der Kunstgeschichte, wenn auch ein außerhalb Österreichs – bis auf Arbeiten Günter Brus‘ – wenig bekannter.

Nach der Auflösung der Kommune wurde der Ausstellungsmacher Hubert Klocker mit der Betreuung der Sammlung beauftragt, die in den 1990er-Jahren vor allem durch Leihgaben für Ausstellungen in Los Angeles, Tokyo und Paris zur besseren internationalen Positionierung des Wiener Aktionismus beitrug.

Die Neugestaltung der Sammlungsräume erfolgte durch Adolf Krischanitz, der schon in den 1980er-Jahren für eine Dependance der Kommune auf den Kanarischen Inseln ein Haus entworfen hatte. Krischanitz hat den Räumen ein neues Entree vorgesetzt – einen Glaszubau mit zwei X-förmigen Stützen aus massiven Holzbalken –, die Räume für die Sammlung beruhigt und mit einem Einbau für Projektionen ausgestattet. Ergänzt werden diese Räume durch einen Bereich für temporäre Installationen mit einem Längsraum als Übergang zur Dauerausstellung. Ohne großen Aufwand ist so ein hochwertiger Kunstraum entstanden, eine „kleine Monumentalität“, wie sich Krischanitz ausdrückt, die sehr selbstbewusst im alles andere als monumentalen Bestand ihren Platz findet.

Ihre erste Bewährungsprobe besteht die Raumfolge gerade mit einer Ausstellung von Paul McCarthys Videoinstallation „Carribean Pirates“, die bis Ende März 2011 in der Wechselausstellung zu sehen sein wird. In Mehrfachprojektionen zeigt Mc Carthy ein wildes Satyrspiel mit aktuellen Bezügen, das an ein Nitsch'sches Orgien-Mysterien-Theater erinnert, bei dem die Macher der US-Fernsehserie Southpark die Regie übernommen haben. Die großen Durchbrüche, mit denen Krischanitz Wechselausstellung und Sammlung verbunden hat, offenbaren so die heimliche Absicht, Letztere ein wenig zu durchlüften: Im Kontrast mit Mc Carthys absurdem Spektakel kommt der tief verspannte katholische Ernst, der den Werken des Wiener Aktionismus anhaftet, drastisch zum Vorschein. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2010)

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