Die Brücke von Linz

Die Eisenbahnbrücke ist die älteste der Linzer Brücken. Doch seit je fristet sie ein Stiefkind-Dasein. Nun wird wieder einmal über ihre Zukunft debattiert, weil die Bausubstanz schwere Schäden aufweist.

Die Linzer Eisenbahnbrücke, Schauplatz und Symbol einer bewegten Geschichte, ist ein Denkmal und muss als solches erhalten werden. Darüber ist man sich einig. Die weitgehend im Original erhaltene Brücke ist in Österreich einzigartig und prägt wie kaum ein anderes Bauwerk den Linzer Donauraum. Im Jahr 1900 nach den Plänen des k. u. k. Hofschlossers Anton Biró fertiggestellt, ist die Eisenbahnbrücke die älteste der drei Linzer Brücken. Sie überspannt den Fluss mit drei bogenförmigen Fachwerkträgern aus genietetem Stahl, die auf gemauerten Pfeilern ruhen. Die Vorlandfelder werden von parallelgurtigen Fachwerken gebildet. Als Verbindung zwischen Mühlkreis- und Westbahn, also im Eigentum der Bahn errichtet, wird die Brücke dennoch seit jeher vom Individualverkehr – in der Frühzeit von Fuhrwerken – mitgenutzt. Heute fahren hier kaum noch Züge, während der Autoverkehr zur Versorgung des Linzer Speckgürtels stetig zunimmt.

Mit dieser einst seitens der kostenbewussten Linzer Stadtväter begrüßten Kombination von Straße und Schiene hat man einen guten Teil jener Probleme geschaffen, die seit Langem bekannt und ungelöst sind: Der Autoverkehr fordert den für die Bahn nicht notwendigen Einsatz von Streusalz im Winter; Streusalz verursacht Korrosion. Die folglich weder seitens der Stadt noch der ÖBB als solche wahrgenommene Instandhaltungspflicht hat zur kontinuierlichen Verschleppung notwendiger Reparaturarbeiten und wohl auch zu einem höchst ambivalenten Verhältnis der Linzer zu ihrem Wahrzeichen geführt. Schon 1981 wählte Meinhard Buzas für seinen durchaus kritischen Kommentar einer langen Sanierungssperre der Brücke in den „Oberösterreichischen Nachrichten“ den Titel: „Halleluja, sie ist hin“.

Die Vielfalt der über die Jahrzehnte geborenen Ideen zur Behebung ihrer Unzulänglichkeiten – zu schmal, zu holprig, zu altmodisch, zu teuer, zu rostig – ist groß. Vom Abbruch und Neubau bis zum Auseinanderschneiden in der Mitte zwecks Einfügens einer ordentlich breiten Fahrbahn ist alles dabei. Verhindert wurde die Ausführung dieser Vorschläge stets durch Geldmangel und den doch noch aufkeimenden Respekt vor dem Denkmal. „Die Eisenbahnbrücke ist für Linz, was der Eiffelturm für Paris ist“, sagt Hermann Knoflacher und ergänzt: „Würde man neben die Eisenbahnbrücke eine zweite Brücke setzen, die das Gesamtbild beeinträchtigt, käme das dem Ansinnen gleich, rund um den Eiffelturm Hochhäuser zu errichten.“

Heute, 2011, ist es wieder einmal so weit: Gutachten attestieren schwere Schäden am Tragwerk der Brücke und fordern – hier differieren die Fachmeinungen – entweder die baldige Sperre für jeden Verkehr oder eine rasche umfassende Sanierung. ÖBB, Stadt Linz und Bundesdenkmalamt diskutieren folgende Lösung: Die Eisenbahnbrücke soll saniert werden, jedoch in Zukunft ausschließlich dem Schienenverkehr – hier denkt man an eine Straßenbahnlinie – dienen. Den Individualverkehr soll eine neue, unmittelbar stromabwärts neben der alten errichtete Brücke aufnehmen. Damit wäre zum ersten Mal im gewohnten Auf und Ab von Versagen und Reparatur die Hauptursache der Schäden, die Salzstreuung, beseitigt.

Gegenstand der Gespräche ist aber auch ein Projekt, das die Eisenbahnbrücke auf anderem Weg als durch Abbruch oder Einsturz zu zerstören verspricht. Es zeigt die neue Straßenbrücke als einen in drei Felder geteilten Hohlkastenträger aus Stahlbeton, auf dem die Fahrbahn etwa auf Höhe der historischen Bogenansätze zu liegen käme. Damit würde die Eisenbahnbrücke einer entscheidenden Wirkung beraubt: ihrer Transparenz. Damit nicht genug, teilen die Brückenpfeiler des Projekts die Donau nicht wie jene der alten Brücke in drei gleiche, etwas über 80 Meter breite Teile, sondern lassen – der Schifffahrtsanlagenverordnung brav entsprechend – wenige Meter neben den bestehenden Pfeilern eine mittlere Fahrrinne von 100 Metern frei. Auch diese Entscheidung kann man kaum als glücklich bezeichnen, zumal sie ein klares „. . . für den Fall, dass es die alte Brücke eines Tages doch nicht mehr gibt . . .“ transportiert.

Während also der dem Erhalt der Brücke so abträgliche Konflikt zwischen Eigentümerschaft und Nutzung auf eine Lösung zusteuert, schiebt man ihre Zukunft unnötig zwischen den Polen „Sachzwang“ und „Gestaltung“ hin und her. Die Entscheidungsträger der Stadt Linz sehen im vorliegenden Projekt ihre gültige Antwort auf den Wunsch des Bundesdenkmalamtes nach einer schlichten neuen Brücke und verwechseln leider schlicht mit einfallslos. Das weder mit Ressourcen noch öffentlichem Rückhalt verwöhnte Bundesdenkmalamt wiederum hat es schwer, die Behauptung der Techniker, es gäbe keine andere Lösung, zu widerlegen. Dass Verkehrsbauwerke und Schifffahrtsanlagenverordnungen nicht naturgegeben oder gottgewollt, sondern das Ergebnis menschlicher Entscheidungen und als solche veränderbar sind, kommt offenbar niemandem in den Sinn.

Geblendet von der zweifellos gegebenen Komplexität der Materie, übersieht man, dass gerade die alte Eisenbahnbrücke ein besonders schönes Beispiel dafür ist, wie elegant man einer Vielzahl von Anforderungen – auch den ästhetischen! – gleichzeitig genügen kann. Der in Linz ansässige, 2010 als erster Bauingenieur mit dem oberösterreichischen Landeskulturpreis für Architektur ausgezeichnete Konstrukteur Erhard Kargel setzt sich ebenfalls für die Rettung der Brücke ein: „An der Eisenbahnbrücke kann man alles ablesen. Das Ausmaß der Kräfte, die Druckstäbe, die Zugstäbe, die Art der Herstellung. Nichts ist zu viel, und nicht ist zu wenig.“ Seine eigenen zahlreichen Brückenbauten zeigen eine ähnliche Haltung, die es immer wieder ermöglicht, die unterschiedlichsten technischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten mit kulturellen Ansprüchen zur Deckung zu bringen.

Noch sind die Verhandlungen „im Fluss“, noch ist die weitere Vorgangsweise nicht festgelegt, „kein Planungsauftrag für die neue Brücke vergeben“. Doch wäre es nicht das erste Mal, wenn ein ohne Auftrag (?!) erstelltes Vorprojekt im Zusammenwirken von Zeitdruck und scheinbar fehlenden Alternativen unversehens als gebaute Wirklichkeit da stünde. Die neue Brücke muss in einen angemessen respektvollen Dialog mit dem Denkmal treten, will sie dieses nicht nachhaltiger beschädigen als es die Korrosion vermochte. Die Unart, Ingenieursleistungen nach dem Billigstbieterprinzip auf der Basis sogenannter Amtsplanungen zu vergeben, zeugt schon bei alltäglichen Bauvorhaben von Unwissen und Kurzsichtigkeit der Auftraggeber. Im Zusammenhang mit einem Denkmal wie der Linzer Eisenbahnbrücke sollte sie unvorstellbar sein. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2011)

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