Das Erlebnis Bad

Wiens schönstes Bad wird soeben saniert. Jetzt muss nur noch das Becken dicht werden. Ein Baustellenbesuch.

Beinahe wäre es Roland Rainers Stadthallenbad vor zwei Jahren an die Substanz gegangen. Für die längst notwendige Sanierung des denkmalgeschützten Baus, der 1974 fast zeitgleich mit dem ORF-Zentrum am Küniglberg fertiggestellt wurde, lag eine Planung vor, die Kopfschütteln auslöste. Sie erfüllte zwar die neuesten Anforderungen der Bäderhygiene; dass man es hier mit einem Werk der Baukunst zu tun hatte, das nicht zuletzt von feinen Details lebt, war den Planern aber wohl nicht bewusst. Auch die Idee, den bisherigen Eingang exklusiv den Leistungssportlern zu überlassen und für den Breitensport einen zusätzlichen Eingang zur Hütteldorfer Straße zu öffnen, war zwar durchaus zu begrüßen; die hilflose architektonische Antwort auf diese Vorgabe ließ allerdings Schlimmes befürchten.

Bei der Sanierung von Nutzbauten mit komplexen Funktionen lauert nämlich an jeder Ecke ein „Sachzwang“, ausgelöst von verschärften Bestimmungen des Brandschutzes, des barrierefreien Zugangs oder der Bäderhygiene. Hier ist hohe gestalterische Kompetenz gefragt, die mit der präzisen Analyse und Bewertung des ursprünglichen Bestandes und späterer Veränderungen beginnen muss. In der Planung geht es dann an vielen Stellen nicht um die Erhaltung des ursprünglichen Zustands, sondern um ein Weiterdenken von bestehenden Konzepten unter neuen Bedingungen.

Gerade das Stadthallenbad stellt hier höchste Anforderungen. Auf einem äußerst knapp bemessenen Grundstück hat Roland Rainer die Architektur organisch aus den Hauptfunktionen entwickelt: zwei Becken, ein Sprungturm, Tribünen für Zuschauer. Der Sprungturm gibt dem Projekt im Grundriss wie im Schnitt Dynamik. Er staffelt die Fassade nach außen und fächert die mächtigen Stahlträger nach oben weg, und auch die Tribünen sind leicht schräg in die rechteckige Halle gesetzt, um eine bessere Sicht auf die Springer zu erlauben. Dass man bei einer solchen Anlage Dutzende Regeldetails entwickeln kann und trotzdem an vielen Punkten spezielle Lösungen finden muss, liegt auf der Hand.

Es ist der Stadt Wien und ihren zuständigen Organen hoch anzurechnen, dass sie mit Georg Driendl einen Architekten gefunden haben, der dieser Aufgabe gewachsen ist. Offiziell konnte Driendl zwar nicht mehr mit der Entwurfs-, sondern nur mit der Ausführungsplanung beauftragt werden. In deren Verlauf wurde aber auch der Entwurf neu und auf dem Niveau des Rainerschen Bestands aufgerollt und mit der Haustechnikplanung von Vasko und Partner abgestimmt.

Driendl, der bei Roland Rainer an der Akademie der Bildenden Künste studiert hat, musste sich auch mit Veränderungen auseinandersetzen, die bei bisherigen Renovierungen des Bades erfolgt waren, in den 1980ern und 1996, zu Lebzeiten und teilweise unter Mitwirkung Rainers. Bei der Fassadensanierung wurden damals Verglasungen, die bis zum Boden gereicht hatten, mit geschlossenen Füllungen versehen, und die schlanken Stahlstützen erhielten plumpe Sockel, um Dichtheitsprobleme an den Fußpunkten in den Griff zu bekommen. Auch die „finnische Rinne“, die Rainer verwendet hatte, um den Wasserspiegel auf dasselbe Niveau zu legen wie den umliegenden Hallenboden, musste in einer Form wiederhergestellt werden, die den heutigen Richtlinien entsprach.Eine besondere Herausforderung stellte die Lüftungsanlage dar, deren Leitungen seit der Inbetriebnahme des Bads nicht mehr gereinigt wurden. Für runde und eckige Querschnitte gibt es dafür Lösungen bis hin zum Einsatz von kleinen Reinigungsrobotern. Da Rainer spezielle Querschnitte verwendet hatte – an beiden Seiten abgerundete Rechtecke –, musste dafür eine ebenso spezielle Lösung gefunden werden: fix in den Leitungen installierte Vorspannseile, an denen Reinigungsdüsen entlanggezogen werden. Die einfachste Lösung wäre gewesen, die alten Leitungen quasi als Dekoration zu erhalten und parallel dazu neue, leistungsfähige Weitwurfdüsen zu installieren. Die Entscheidung, den Bestand auch in seiner Funktion zu erhalten, erfolgte erst nach langen Diskussionen und aus Sorge vor Zugerscheinungen durch stärkere Düsen. Dass sich die Erhaltung aber auch ästhetisch gelohnt hat, zeigt sich vor allem im Bereich hinter den Tribünen, wo Rainer aus diesen Leitungen und der rot gestrichenen Stahlkonstruktion ein beachtliches technisches Gesamtkunstwerk entwickelt hat.

Überhaupt hat Rainer im ganzen Gebäude auf Verkleidungen und abgehängte Decken so weit wie möglich verzichtet. Bei der Sanierung wurde dieses Prinzip beibehalten, obwohl durch neue Anforderungen zahlreiche Leitungen dazukamen. Unter anderem mussten in das Edelstahlbecken, das 1996 installiert worden war, zusätzliche Einströmöffnungen gelegt werden. Die Leitungsdichte ist beachtlich und für Badebesucher, die eine „Wellnessoase“ suchen, sicher eine Überraschung. Als Teil eines Hochleistungsraums für Sportler ist diese Lösung aber schlüssig. Die neu gestalteten Duschen bringen eine elegantere Note in den Garderobenbereich, und über den sehr übersichtlichen Zugang von der Hütteldorfer Straße gibt es sogar noch etwas Licht und eine Blickbeziehung zur Außenwelt.

Die Fertigstellung des Bads war ursprünglich für letzten Dezember geplant. Bei einem Sanierungsprojekt ist man vor Überraschungen aber nie sicher, und so erwies sich das Edelstahlbecken trotz vorheriger Saugglockentests bei der Befüllung als undicht. Skandal ist das keiner, sondern unangenehme und zeitraubende Routine, bis die Schweißnähte gefunden sind, an denen nachgebessert werden muss. Ob die Eröffnung noch im Februar stattfinden kann, wird sich zeigen. Viel wichtiger ist, dass das Stadthallenbad die Sanierung bekommen hat, die es verdient. Mit 400.000 Besuchern pro Jahr war es schon bisher eines der erfolgreichsten Bäder der Stadt. Die meisten von ihnen werden nicht wissen, dass sein Entwurf von Roland Rainer stammt. Es wird sie auch kaum interessieren, wie viel Mühe investiert wurde, um das Bad nicht nur technisch, sondern auch ästhetisch auf dem höchsten Niveau zu halten. Aber unbewusst werden alle Besucher davon profitieren. Und das ist den Aufwand wert. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2012)

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