Lob des Kalauers

Franzobels Gespür für die komischen Aspekte der Sprache münden nicht selten im Kalauer. Seine Prosa nähert sich – mit Absicht – dem Trash. Das irritiert und steht doch in der Tradition eines Schelmenromans à la Bohumil Hrabal.

Man hat sich darüber lustig oder ihm sogar einen Vorwurf daraus gemacht, dass Franzobel so viel veröffentlicht. Es vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht mehrere Bücher von ihm, einige von beträchtlichem Umfang, erscheinen. Spott und Vorwurf sind natürlich lächerlicher als der Gegenstand, den sie treffen sollen. Sie zeugen lediglich von einem tiefreligiösen Glauben an göttliche Gerechtigkeit: Wer so viel schreibt, muss mit einem Mangel bestraft werden. Dass einer schneller und zugleich besser denkt und arbeitet als man selbst, kann nicht geduldet werden.

Die Wahrheit ist: Nicht der Umfang künstlerischen Outputs bestimmt dessen Qualität. Es gibt Autoren, die sich schwer tun mit dem Schreiben, die erst nach Jahren zu einem Ende kommen, das dann trotzdem die Lektüre nicht lohnt, und andere, denen in kürzester Zeit gelingt, was jene nie erreichen. So ungerecht ist die Welt nun einmal eingerichtet, so unterschiedlich sind Begabungen verteilt. Das gilt übrigens auch für andere Künste. Ein Bild, an dem ein Maler zwei Jahre getüftelt hat, kann, muss aber nicht besser sein als ein Werk, das innerhalb von einer Stunde entstanden ist, und eine Filmszene, die an einem Tag gedreht wurde, muss nicht hinter einer Aufnahme zurückbleiben, die vierzig Mal wiederholt wurde.

Franzobel schreibt offenbar leicht – im doppelten Wortsinn: Es fällt ihm nicht schwer zu schreiben, und das Ergebnis ist ohne große Mühe zu lesen. Von seinen experimentellen Anfängen hat er sich schon lange entfernt. Geblieben ist ein ausgeprägtes Gespür für die ästhetischen und sehr oft komischen Aspekte der Sprache, auf allen Ebenen: der Phonetik, der Syntax, der Semantik. Das mündet nicht selten im Kalauer, also im Wortspiel. Und über die Qualität von Kalauern kann man unterschiedlicher Meinung sein.

Man kann sie für billig, für geistlos halten oder auch sein Vergnügen an ihnen haben. Über sie lässt sich nicht rechten wie über (pseudo-)philosophische Gedanken, die gemeinhin als „tieferer Sinn“ bewertet und im deutschen Sprachraum besonders geschätzt werden. Kalauern geht es wie der Ironie. Nicht jeder hat dafür eine Ader, und wer damit nichts anzufangen weiß, wird an Franzobel scheitern (und so tun, als wäre Franzobel an ihm gescheitert). Eine Journalistenregel besagt, dass man über Eigennamen keine Witze machen darf. Schriftsteller dürfen es. Deshalb nennt Franzobel seine Figuren Ödipus Hornbostel, Svetopluk Huffingvili oder Jimmy Tschurri. Schon im Vorwort amüsiert er sich darüber, dass in der Blutgasse ein Zahnarzt namens Doktor Stich ordiniert. Das muss man nicht komisch finden, aber man kann.

Franzobels geradezu manische Vorliebe für das Wortspiel nähert seine Prosa oft der gesprochenen Sprache an und, mit Absicht, versteht sich, dem Trash. In der Popkultur hat Trash längst Anerkennung gefunden. Franzobel irritiert dadurch, dass er Trash, auch die Zote, die zum Genre gehört, in eine Literatur integriert, die ihre Herkunft aus der Bildungstradition nicht leugnet.

Der jüngste Roman Franzobels gibt vor, die Abschrift von zwei Tonbandkassetten zu sein, die der Autor im Hotel Orient durch Zufall gefunden habe. Hier, im real existierenden Stundenhotel, spielt auch der in Ich-Form geschriebene Roman, von hier aus wird das bisherige Leben des Erzählers rekapituliert. Die Adressatin ist seine Mama. Das Ambiente begünstigt die Reihung schräger Situationen, skurriler Motive.

Die Erinnerung an die „Mutzenbacherin“ liegt nahe, aber „Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind“ steht mehr noch in der Tradition des Schelmenromans. Über weite Strecken meint man, der geniale tschechische Dichter Bohumil Hrabal habe souffliert. Franzobel führt die traditionellen Verfahren der Abschweifung und der Unterfütterung der Fiktion mit Realien fort. Damit steht er im Gegensatz zu einer Literatur der stringenten Handlungsführung. Wer darauf Wert legt, sollte gar nicht erst zu diesem Buch greifen.

Erfinder des literarischen Stöhnens

Patrick Süskind ist bekanntlich durch den Einfall in die Literaturgeschichte eingegangen, Gerüche und das Riechen zu seinem Thema zu machen. Franzobel könnte als Erfinder des Stöhnens als literarischer Gegenstand im Gedächtnis bleiben. Denn Stöhnen ist es, was seinen Helden und Erzähler Hildy Kilgus beschäftigt. Darauf kommt er immer wieder zurück, das ist der Fixpunkt, der ihn auch auf seinen Reisen begleitet. Ein anderes Motiv, das sich durch den Roman zieht, ist das Motiv der Vögel, die den Erzähler zu ihrem Messias machen. An einer Stelle sagt der Vogelchef zu Hildy: „Ihr fällt die Bäume, grabt die Erde um, schießt Kohlenmonoxyd zur Sonne, pumpt Öl ins Meer, verändert das Wetter, aber ihr habt nichts begriffen, nichts.“ Er ist nicht nur komisch, der Franzobel. Er hat durchaus Überzeugungen. Aber er drängt sie uns nicht auf.

An manchen Stellen, fast beiläufig, tauchen Spuren auf von jenem Franzobel, der für das Theater Hausruck ganz realistische Stücke über Österreichs jüngere Geschichte schreibt. Aber dies hier ist ein Roman, er hat eine ganz andere Ausrichtung. Franzobel schreibt viel. Er ist ein Autor von mannigfaltigen Talenten. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2012)

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