Grenzverkehr der Geister

Rasant: Cordula Simons Wiederbelebungsgeschichte. Am dritten Tage auferstanden von den Toten – das lässt sich auch von ihrem Helden Anatol Grigorjevič Ivanov sagen, der Fortgang der Geschichte weist freilich keinerlei heilsgeschichtliche Parallelen mehr auf.

Cordula Simon, geboren 1986 in Graz, lässt ihr Romandebüt, „Der Potemkinsche Hund“, in Odessa spielen, wo sie aktuell wohnt. Am dritten Tage auferstanden von den Toten – das lässt sich auch von ihrem Helden Anatol Grigorjevič Ivanov sagen, der Fortgang der Geschichte weist freilich keinerlei heilsgeschichtliche Parallelen mehr auf. Dass Anatol erfolgreich aus dem Grab gezerrt wird, verdankt er zwei einander überlagernden Sphären: einem naturwissenschaftlichen Experiment und grenzgängerischen Phänomenen, repräsentiert von einem der wilden Hunde, die in der Ukraine ja ein Faktum sind. Die Trennung zwischen den beiden Systemen ist dabei keineswegs hermetisch.

Anatols einstige Nachbarin, die Naturwissenschaftlerin Irina Sergejevna Muravenko, ist in Liebe zu ihm entbrannt, allerdings nur aus der Ferne. Als Anatol stirbt, erwachen in Irina zwei Gelüste: ihren verlorenen Tolik wieder zu erwecken und damit zugleich ihre wissenschaftliche Reputation festigen. Also braut sie nach einer nicht restlos ausgetesteten Rezeptur einen „Wundertrank“ und appliziert ihn dem in seinem Grab ruhenden Leichnam intravenös. Dass das Experiment tatsächlich erfolgreich ist, merkt Irina nicht mehr; sie ist zu ungeduldig und zieht enttäuscht ab. Doch sie hat die entscheidende Vorarbeit geleistet, denn nun kommt der mythische Hund ins Spiel; er besorgt den Rest und zieht den reanimierten Leichnam aus dem Grab. Čelobaka, Menschenhund, so wird ihn Anatol dann nennen, der mühsam ins Leben zurückzutaumeln versucht.

Eine Art inverser Charon

Angeleitet wird er dabei von einer kundigen Zigeunerin, die genau weiß, wie man hierzulande den Leichnamen alle Öffnungen zu verschließen pflegt, um den Grenzverkehr der Geister zwischen innen und außen, Toten und Lebenden zu unterbinden. Čelobaka aber wird eine Art inverser Charon, der Anatol ins Leben und zunächst in die Stadt zurückführt.

Cordula Simon entwickelt daraus mit leichter Hand eine rasante und witzige, aber an keiner Stelle verwitzelte Odyssee des bürokratisch toten Anatol. Wen es nicht gibt, der hat ein schweres Leben, verwaltungstechnisch ist das kein exklusiv ukrainisches Problem, das wäre im Online-one-stop-Shop westlicher Bürokratien kaum weniger kompliziert.

Simon inszeniert ein perspektivisch verzwicktes Spiel mit Wieder- und Doppelgängern, Trunkenbolden und Paranoikern, menschlichen wie tierischen Outlaws, von den Kakerlaken bis zu den mythologisch aufgeladenen Hunden. Irina, die sich nach ihrer vermeintlichen Niederlage am Friedhof ziellos herumtreiben ließ – sie verbringt eine Nacht im Lenin-Mausoleum –, begegnet ihrem Tolik am Ende in stark heruntergekommenem Zustand wieder. Anatols letzter Gedanke aber gehört Irina, die er im Leben kaum wahrgenommen hat. Bei seinem, diesmal wohl wirklich finalen Sturz in ein Asphaltloch sieht er Čelobaka im Fenster seiner einstigen Nachbarin, vielleicht war er ja ihr Hund und „hatte nur auf ihn achtgegeben, weil sie es so gewollt hatte“.

Das ist gleichsam ein letzter Hinweis, dass die beiden an Anatols letztlich missglückter Auferstehung beteiligten Sphären nicht so reinlich geschieden sind. ■





Cordula Simon
Der Potemkinsche Hund

Roman. 208 S., geb., €19,90 (Picus Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2012)

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